Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)
eingerichtet. Es gab einen antiken Teewagen mit geklöppelter Spitzendecke darauf und einen altrosafarbenen Kachelofen. Die Stuckdecke war beeindruckend, und über dem Bett hing in einem ovalen, goldenen Rahmen das Ölporträt einer jungen Dame der Biedermeierzeit.
Das Bad, das zum Zimmer gehörte, sah aus wie aus einem Schöner-Wohnen-Prospekt: Whirlpool, Bidet, zwei Waschbecken, eine gläserne Duschkabine. Auf einem Holzschränkchen standen ein Fayencekrug und eine riesige Waschschüssel.
Durch eines der Flügelfenster sah sie Cord Petersen, der mit Eimer und Schrubber bewaffnet über den Rasen ging. Mit gekonnten Bewegungen begann er, die Seitenwände des Pools unterhalb der Terrasse zu reinigen. Hatte er immer noch keinen Feierabend? Es war doch eigentlich schon Zeit, ins Bett zu gehen, wenn man in aller Frühe die Pferde füttern musste.
Sie streckte die Glieder und versuchte zu gähnen, aber es gelang ihr nicht. Heute Abend war sie nämlich noch gar nicht müde. Wahrscheinlich hatte sie einfach zu lange mit Frau Dormann im Garten gelegen. Sie dachte wieder an die Schleuse von Strohbrück. Was waren das für Lichter, die Frau Dormann dort gesehen hatte? Und ihr fiel auch der Holtenauer Rentner wieder ein. Seine Pflegerin hatte doch erzählt, dass er am Kanal Lichtzeichen oder Lichter beobachtet haben wollte. Jetzt war Hinrichs tot. Vielleicht hatten sie seinen Fall zu schnell zu den Akten gelegt.
Sie kam einfach nicht zur Ruhe. Und weil es heute Abend noch eine Weile hell sein würde, steckte sie ihr Handy ein, warf sich eine Strickjacke über und machte sich auf den Weg nach draußen. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft dachte sie kurz daran, dass ihre Polizeiwaffe wie immer im Kofferraum ihres Wagens lag. Sie entschied sich dann aber, sie dort zu lassen. Sie hatte zwar den Eindruck, auf diesem Anwesen ständig überwacht zu werden, aber bedroht fühlte sie sich, trotz des vermeintlichen Krähenangriffes, bisher nicht.
Draußen auf dem Gang hörte sie Stimmen, die aus einem der Nachbarzimmer drangen. Sie blieb vor der Tür stehen, hinter der gesprochen wurde, doch die Stimmen waren zu leise, um etwas zu verstehen.
Auf dem Weg zum Torhaus kam sie an einer Remise vorbei. Zwei der sechs Türen standen offen. Drinnen glänzten zwei Oldtimer im Abendlicht. Ein uralter Mercedes Benz und ein ebenfalls antik aussehender Lamborghini, beide in dunklen Rottönen lackiert, mit abgerundeten Kotflügeln und chromblitzenden Scheinwerfern. Alles an ihnen war makellos.
Sie lief zwischen den Scheunen entlang und durch den Obstgarten und war fünf Minuten später am Schuppen des Verwalterhauses. Dort schnappte sie sich kurzerhand eines der Damenfahrräder aus dem Unterstand und radelte los. Bewegung und Fahrtwind taten ihr gut. Sie passierte die lange Mauer, die, wie sie von Frau Dormann erfahren hatte, zur alten Gutsgärtnerei gehörte.
Auf der Veranda des Mühlenhauses saßen drei junge Frauen. Sie sahen zu ihr herüber, grüßten aber nicht. Island überquerte den Mühlenhausbach, ließ den Wirtschaftshof hinter sich und gelangte an Pferdekoppeln und Obstbaumhainen vorbei zum Waldrand. Im Wald herrschte schon Dunkelheit. Sie fuhr weiter, denn sie hoffte, irgendwo in der Nähe der Schleuse aus dem Wald herauszukommen. Und tatsächlich, nach etwa einem Kilometer gelangte sie an den mit Natodraht befestigten Wildzaun, der das Tüxsche Anwesen zu dieser Seite hin umschloss. Das Tor, an dem der Weg endete, war unscheinbar. Es handelte sich um ein ganz normales Wildgatter und war zu Islands Erstaunen nur mit einem Drahtbügel verschlossen.
Sie öffnete das Gatter und fand sich auf dem Spazierweg wieder, der am Achterwehrer Schifffahrtskanal entlangführte. Wenig später erreichte sie die Schleuse. Der Abendhimmel hatte gen Osten ein klares nächtliches Blau angenommen. Die Grillen auf der Wiese an der Schleuse zirpten. Der Geruch von blühender Schafgarbe lag in der Luft.
Sie stieg vom Rad und lehnte es an den Bauzaun, der die Schleuse umgab. Jenseits der Schleusenkammer stand das Wärterhaus dunkel und verlassen da. Bestimmt würden bald die Dorfjungen aus Achterwehr, Quarnbek oder Strohbrück kommen und die Scheiben einwerfen.
Ihr wurde erst jetzt bewusst, wie allein sie war. Allein an diesem vergessenen Ort mitten in der Einöde. Das Gefühl einer diffusen und nicht greifbaren Gefahr schärfte ihre Sinne. Wieder starrte sie zum Haus hinüber. Hatte sie nicht gerade ein Gesicht hinter einer der blinden Scheiben
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