Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)
einen Ausgang zu finden.
Der Gang endete an einer schmalen Wendeltreppe. Weil von unten kalter, muffiger Kellergeruch heraufströmte, stieg Island nach oben. Sie landete in einem weiteren Gang, der immerhin spärlich durch ein fast blindes Fenster erhellt wurde und an einer Tür endete, über die Island in einen kleinen Raum mit einer hohen Decke kam. Die dunkle Eichenholzdecke, die mit zartrosa Blüten bemalt war, stellte eindeutig das Romantischste an dem Gelass dar, ansonsten gab es nur Metallregale, ein vergittertes Fenster und einen Bürotisch mit zwei Stühlen. Dies musste der geheimnisumwitterte Archivraum sein. Die Verbindungstür zur Bibliothek war leider verschlossen.
Auf dem Tisch lag ein dickes Buch, das von einem Karteikasten beschwert wurde. Island setzte sich auf einen der beiden Stühle und zog es zu sich heran. Repertorium Gutsarchiv Kreihorst stand in Goldbuchstaben auf dem Buchdeckel. Das Inhaltsverzeichnis auf der ersten Seite war zum Glück nicht in altdeutscher Schrift gehalten, sondern in lateinischer. Generalia Kieler Güterdistrikt, Familienpapiere und Testamente, Pachtkontrakte, Kaufverträge, Prozessakten, Polizei und gutsobrigkeitliche Verwaltung, Geld- und Kornrechnungen, Urkunden, Karten – das Gutsarchiv war seinerzeit nach einem ganzen Sammelsurium von altertümlich klingenden Begriffen geordnet worden. Schuld- und Pfandprotokolle ab 1783, las Island, Erdbücher ab 1670, Verkopplungsakten, Kirchen- und Schulsachen, Militaria.
Sie blätterte weiter. Im Buch waren unter den Rubriken die entsprechenden Akten unter einer fortlaufenden Nummer verzeichnet. Diese wiederum passten zu den Nummern auf den Papierstapeln und Kartons in den umliegenden Regalen. Manche Schriftstücke lagen in Pappordnern und waren zu dicken Päckchen zusammengebunden, andere befanden sich in Schubern oder großen, grauen Schachteln.
Island klappte den Karteikasten auf. Jemand hatte sich offenbar vor längerer Zeit die Mühe gemacht, all die Aktentitel aus dem Buch mit einer Schreibmaschine auf kleine Karteikärtchen abzutippen. Vielleicht, weil er das Archiv neu ordnen wollte. Aber diese Überarbeitung musste schon Jahre zurückliegen, denn auf allen Büchern, Kartons und Aktenstapeln lag eine dicke, graue Staubschicht. Wieso hieß es dann, dass Jon Theissen zusammen mit der Gutsherrin das Archiv neu geordnet hatte?
Und wie passte das zu der Tatsache, dass man aus dem Archiv direkt in den Wellnesstempel hinuntersteigen konnte? Lag da nicht der Gedanke nahe, dass sich die beiden mit angenehmeren Dingen beschäftigt hatten?
Langsam ging Island an den Regalen entlang. Auf einem der unteren Regalbretter gab es eine vom Staub ausgesparte Lücke zwischen zwei Aktenstapeln. Wenn sie nicht alles täuschte, musste hier ein Karton mit der Nummer 252 gestanden haben. Island blätterte noch einmal in dem Repertorium. Eine Akte mit der Nummer 252 gab es dort nicht. Dafür aber in dem Karteikasten fünfzehn Kärtchen, die alle die Nummer 252 sowie eine lateinische Ziffer trugen und in der Rubrik »Militaria« abgelegt worden waren.
Island las: 252.I Bausachen 1914 – 1918; 252. IIU -Boot-Unterstand, mit: Berichten von U -Boot-Kommandanten; 252. III Öllager Flemhuder See; 252. IV Ölwärmehalle; 252. V Baupläne und Karten; 252. VI Seekarten; 252. VII Unreine Gründe: Munition; 252. VIII Chemische Kampfstoffe/Giftgas.
Auf einer weiteren Karteikarte, die eindeutig neueren Datums war, weil sie aus glattem, holzfreiem Karton bestand und anders als die anderen mit einem glitzernden Gelschreiber beschriftet war, stand: Deep-Dive-Super-Challenge, darin: Kaufvertrag, Betriebsanleitung, Fotos.
Island sah sich noch einmal gründlich um, aber der Karton mit den Militaria fehlte eindeutig. Sie nahm die betreffenden Karteikarten aus dem Kästchen und steckte sie in ihre Handtasche. Die Luft im Archivraum war heiß und staubig, und allmählich verspürte sie ein großes Verlangen nach frischer Luft. Da die Tür zur Bibliothek zu war, blieb ihr nichts anderes übrig, als durch den Gang zur Wendeltreppe zurückzugehen. Als sie unten am Wellnessraum angelangt war, hörte sie Stimmen. Neugierig spähte sie durch den Türspalt.
» Du hast mir diese Hubers auf den Hals gehetzt!«
Aufgebracht ging Theodor Tüx vor dem Pool auf und ab.
»Was redest du für einen Blödsinn?« Seine Frau saß immer noch im sprudelnden Wasser, die Arme auf dem Beckenrand abgelegt. Gesicht, Hals und die runden, prallen Brüste glänzten vor
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