Kandide oder die beste aller Welten
faßt' er sie fest ins Auge und sagte: Wären Sie's wirklich, liebes Kind, Sie, die dem armen Magister ein so schönes Geschenk gemacht haben?
Ach ja, mein Herr, ich bin's, sagte Gertrud. Wie ich höre, so wissen Sie bereits alles! Nun ich weiß auch, wie höchst kläglich es dem ganzen Hause der Frau Baronessin ergangen ist, und was die schöne Baroneß Gundchen für ein entsetzliches Ende gehabt haben. Aber ich war, weiß Gott, die Zeit über auch nicht auf Rosen gebettet, hab' auf Dornen und Disteln gesessen. Als ich hin auf den Edelhof kam, war ich noch ganz unschuldig; darum fiel's meinem Beichtvater, einem Franziskaner gar leicht, mich zu verführen. Oh! was für gräßliche Folgen entstanden daraus; ich mußte das Schloß nicht lange nachher verlassen, als Sie der Herr Baron mit derben Tritten in den Hintern 'nausgeschubst hatte.
Hätte sich nicht ein berühmter Doktor meiner erbarmt, ich wäre sicher drauf gegangen. Aus Erkenntlichkeit ward ich 'ne Zeitlang seine Mätresse. Seine Frau, das rasendeifersüchtigste Tier von der Welt, ein zehnmal ärgrer Satan von Weibe wie Xantippe, bläute mich tagtäglich so unbarmherzig wie'n neugebacknes Leutnantchen seines Hauptmanns Kompagnie. Ein unglücklichere Mädchen gab's wohl nicht wie ich. Tagtäglich richtig meine derbe Tracht Prügel eines Mannes wegen, den ich nicht lieben konnte, und tagtäglich Karessen und Liebkosungen diesem Manne, der 'ne wahre, alte Blocksbergsfratze war.
's ist 'n gefährlich Ding, wenn ein Zankteufel eine Doktorsfrau ist. Madame Brummeisen erfuhr's. Ihr Mann hatte endlich das Ding satt, gab ihr eines Tages, um sie vom Schnupfen zu kurieren, eine so wirksame Arzenei, daß sie zwei Stunden drauf mit den jämmerlichsten Verzückungen abschurrte.
Die Anverwandten der Frau Doktern spannen einen Kriminalprozeß gegen den Mann an, der sich glücklich aus dem Staube machte und mich drin sitzen ließ. Man warf mich ins Gefängnis, woraus mich nicht meine Unschuld rettete, sondern meine ganz leidliche Gestalt. Der Richter setzte mich auf freien Fuß unterm Beding, des Doktors Stelle einnehmen zu dürfen. In einem Husch wurd' ich ausgestochen, mußte ohn' einen Heller von dannen wandern, und sah' mich genötigt, jenes abscheuliche Handwerk zu ergreifen, was euch Mannspersonen so angenehm dünkt und was für uns eine vollströmende unerschöpfliche Quelle des Elends ist.
Ich ging nach Venedig, um hier mein Gewerbe zu treiben. Oh! mein Herr! Sie können sich nicht vorstellen, was das für eine Höllenmarter ist, alles durch die Bank weg karessieren zu müssen; bald 'nen alten Kaufmann, bald 'nen Advokaten, bald 'nen Mönch, bald 'nen Gondelführer, bald 'nen Abbate; jeder Beschimpfung preisgegeben zu sein; sich aufs Prellen zu verlegen. Oft ist man so rein herunter, daß man vom Juden ein armselig Fähnchen borgen muß, um sich's von der ekelhaftesten, fatalsten Prise, vom schlechtesten Schufte aufdecken zu lassen. Das bißchen, was man von dem einen verdient, wird einem von dem andern wegstipitzt; man schwebt immer untern Klauen der heiligen Engel, und hat im Prospekt weiter nichts als das Zuchthaus oder gar das Lazarett oder den Misthaufen, woselbst alsdann das abgemergelte, halbverfaulte, verrunzelte und verschrunzelte Gerippe fast in der Blüte der Jahre sein Leben verkeuchen muß.
Wenn Sie sich das alles so recht lebhaft denken, so werden Sie sehn, daß es keine unglücklichere Kreatur auf der Welt gibt als mich.
So schüttete Gertrud in einem Kabinett ihr Herz gegen den biedern Kandiden aus. Ha! halb war 'die Wette gewonnen! rief Martin, der mit zugegen war. Bruder Viola war im Speisesaal geblieben, und hatte sich derweil' an eine Flasche Cyperwein gemacht.
„Du sahst mir aber so fröhlich, so zufrieden aus, Truddien. Wie ich dir begegnete, sangst so aus vollem Herzen, karessiertest deinen Theatiner mit so ungeheuchelter Liebeswärme, daß du mir eben so glücklich schienst, als du dich unglücklich ausgibst."
Ach lieber Herr Kandide, sagte Gertrud. Das ist eben mit das ärgste Kreuz bei meinem Handwerk. Noch gestern wichste mich ein Offizierchen rein durch und zog mich rattenkahl aus, und heute muß ich die fröhlichste Laune affektieren, um mich bei einem Pfaffen anzuschmeicheln.
Nun hatte Kandide schon genug und gab Martinen recht. Sie setzten sich beide mit Gertruden und dem Theatiner an den Tisch; hielten ein recht fröhliches Mahl und wurden beim Wein ganz offen.
Herr Pater, sagte Kandide zum Mönch, Sie scheinen mir ein Los
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