Kandide oder die beste aller Welten
Gottes Erdboden! Mir drei Diamanten zu geben! Jeden zu dreitausend Dublonen. Totschlagen will ich mich eh'r für Sie lassen, Herr Milord, als Sie ins Gefängnis führen. Zwar haben wir die strengste Order, jedweden Fremden zu arretieren, wes Standes und Würden er auch sei: ich will aber das Ding schon 'rumzudrehen wissen. Ich habe zu Dieppe in der Normandie einen Bruder, zu dem will ich Sie bringen, und haben Sie noch einen Diamanten d'ran zu spendieren, so wird er so gut für Sie sorgen, als wär' ich's selbst.
Und warum werden hier alle Fremden in Haft genommen? frug Kandide. Jetzt ergriff der Abbé das Wort und sagte: Darum, weil ein elender Schuft aus dem Lande Atrebatien (Artois) jämmerlichen, elenden Schnickschnack gehört hatte, bloß deshalb hatte er einen grausamen Vatermord begangen, einen solchen freilich nicht, wie er 1610 im Maimonat begangen wurde (Ravaillac), sondern einen solchen, als 1594 im Monat Dezember vorfiel (J. Châtel); auf dessen Schlag nachher noch viele andre Mordtaten in andern Jahren und andern Monaten von andern elenden Schuften aus gleichen Gründen sind ausgeführt worden.
Der Gefreite erklärte jetzt, was der Abbé im dunkeln gelassen hatte. Ha! die Ungeheuer! schrie Kandide. Wie? solche gräßliche Taten werden unter einem Volke verübt, das singt und tanzt! Kam' ich doch aufs schnellste aus einem Lande, wo Affen Tiger aufhetzen! Bären sah ich in meinem Vaterlande, Menschen nur in Eldorado! Um Gottes willen, Herr Gefreiter, schaffen Sie mich nach Venedig, wo ich Baroneß Kunegunden erwarten muß.
Weiter kann ich Sie nicht bringen, lieber Herr Baron, als nach der unteren Normandie, versetzte der Anführer der Sbirren. Sogleich ließ er ihm seine Bande abnehmen, sagte: es wäre ein Versehn, schickte seine Leute zurück, führte Kandiden und Martinen nach Dieppe, wo er sie in den Händen seines Bruders ließ. Es lag ein kleines holländisches Schiff auf der Reede. Der Normann, der mittels dreier andrer Diamanten das dienstfertigste Geschöpf von der Welt geworden war, nahm Kandiden und seine Leute auf dies Schiff, das nach Portsmouth in England ging. Freilich war das nicht der Weg nach Venedig, allein Kandide nahm sich vor, ihn bei erster bester Gelegenheit einzuschlagen. Jetzt dankt er nur Gott, daß er aus der Hölle heraus war.
Dreiundzwanzigstes Kapitel: Kandide und Martin kommen an die englischen Küsten; was sie dort sehn
Kandide. Ha,Panglos!Panglos! Ha,Martin!Martin! Ha,meine traute Kunegunde! was ist diese Welt hier! sagte Kandide auf dem holländischen Schiff.
Martin. Ein erzpudelnärrsches und erzabscheuliches Gemachte. Kandide. Sie sind doch in England bekannt, gibt's dort ebensolche Toren wie in Frankreich?
Martin. Eben! nur von anderm Schnitt und von andrer Farbe. Sie wissen, diese beiden Nationen führen wegen ein paar lumpichter Hufen Schnee, die gegen Kanada liegen, Krieg, und verschwenden bei diesem allerliebsten Kriege weit mehr, als das ganze Kanada wert ist. Ihnen genau zu bestimmen, ob's hier zu Lande mehr Leute gibt, die man an die Kette legen sollte, wie in jenem, das vermag ich nicht; dazu hab' ich zu wenig Auge. Bloß das weiß ich, daß die Leute, wo wir jetzt hinkommen, eine starke Dosis schwarzer Galle bei sich führen.
So hatten sie sich an die Gestade von Portsmouth hingeplaudert. Eine Menge Pöbel strömte zum Ufer hin und schaute mit unverrücktem Auge nach einem ziemlich großen, dicken Mann, der mit verbundnen Augen auf dem Verdeck eines Schiffs aus der Flotte kniete. Ihm gegenüber standen vier Soldaten, die ihm mit dem kältesten Herzen und Auge drei Kugeln ins Gehirn jagten, und die ganze Versammlung ging in der vergnügtesten Laune auseinander.
Was heißt das! sagte Kandide. Üben denn überall böse Geister ihre Macht! Wer war denn der Sir Wanst, den Ihr mit solchen Solennitäten umbrachtet? fragte er einen von den Umstehenden. Ein Admiral, war die Antwort. Und wozu tötet Ihr diesen Admiral? „Er hat nicht Leute genug umgebracht; er ficht mit einem französischen Admiral, und nachher findet sich's, daß er ihm nicht dicht genug auf der Haut gewesen ist." Aber, sagte Kandide, der französische Admiral war ja so weit vom englischen als dieser von jenem. „Nicht zu leugnen, indes kann's hier zu Lande gar nicht schaden, wenn einmal ein Admiral arquebusiert wird, desto mehr lodert den übrigen der Mut an."
Der gehabte Anblick, die eben gehörte Rede hatten Kandiden so betäubt, wurmten ihm so sehr, daß er nicht einmal den Fuß ans Land
Weitere Kostenlose Bücher