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Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)

Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)

Titel: Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Wolf
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bei Herrn Rosendaal.«
    »Oh, dann müssen Sie Frau Schäfer sein! Warten Sie, ich zeige Ihnen den Weg.« Erstaunlich flink klettert die Empfangsdame von ihrem Drehstuhl und führt mich zu einer Treppe. »Hier hinauf und dann den Gang geradeaus. Die letzte Tür ist das Büro von Herrn Rosendaal, Sie können es gar nicht verpassen. Und wenn Sie doch Hilfe brauchen, dann rufen Sie einfach.« Sie zwinkert mir zu und wieselt dann wieder zu ihrem Arbeitsplatz zurück.
    Ich folge ihrer Beschreibung und gehe wenige Sekunden später wie beschrieben den Gang entlang. Überall stehen die Türen der einzelnen Büros offen, Telefone klingeln, Kopierer surren, Faxgeräte rattern, Tastaturen klappern, eine Kaffeemaschine röchelt, aus den Zimmern klingen Stimmen, und auf dem Flur herrscht reges Treiben. Und jeder, dem ich begegne (und das sind gerade eine Menge Leute), grüßt mich mit einem freundlichen Lächeln. Ich komme mir vor, als wäre ich in einer anderen Welt. Ob die bei der Stunning Looks wissen, dass es auch anders geht? Dass es da draußen noch andere Galaxien mit humanoiden Lebewesen gibt, die aber bessere Umgangsformen und Charakterstärke haben sowie an das Prinzip der Nächstenliebe und des persönlichen Glücks glauben? Dass echtes Leben nicht aus sterilen und leer gefegten Gängen, absoluter Stille und gegenseitiger Missgunst besteht? Sondern dass Leben nach Kaffee riecht, dass es laut ist, quirlig, gemütlich, kameradschaftlich? Wie hat Terry Pratchett mal gesagt? »Geld allein macht nicht glücklich. Es gehört auch immer ein bisschen Gold dazu.« Das ist der Glauben aller Mitarbeiterinnen der Stunning Looks. Und wenn man diesen Glauben nicht teilt, hat man dort entweder nichts zu suchen oder bekommt eine Gehirnwäsche. So einfach ist das. O Gott, ob sie das mit mir auch schon geschafft haben? Merke ich das vielleicht nur nicht mehr? Bitte, bitte, lieber Gott, lass mich nicht schon zu einer von ihnen geworden sein! Wenn mir nicht jetzt jemand schnell all das Gift aus den Adern saugt, dann werde ich eine von ihnen! Und das nicht nur bei Vollmond, sondern bei jeder neuen Ausgabe und auch bei jedem Sonderheft!
    »Frau Schäfer! Wie schön, dass Sie hier sind!«, begrüßt mich Rosendaal freundlich. »Möchten Sie eine Tasse Kaffee? Ich muss Sie warnen, er ist sehr schwarz und selbst mit einer Packung Würfelzucker kaum zu genießen, aber ich kann mich einfach nicht an diese neumodischen Pad-Maschinen gewöhnen. Zu Hause hat Sonja so eine vor ein paar Jahren angeschafft, aber ich finde diesen ganzen Schnickschnack schrecklich.« Herr Rosendaal lacht, seine Augen blitzen unter dichten Augenbrauen hervor, und er reicht mir seine große Hand. Sein Händeschütteln rüttelt meinen ganzen Körper durch, so viel Schmackes steckt dahinter. Bestimmt war er heute in der Mittagspause schon beim Holzhacken.
    »Danke nochmals für die Einladung«, erwidere ich und lasse mich auf den Besucherstuhl sinken. Der Chefredakteur fegt ein paar Unterlagen von seinem Schreibtisch und serviert mir eine Tasse tiefschwarzen Kaffee, der mich angesichts seiner Konsistenz und Farbe an Michael Endes dunkles, tiefes Moor aus der Unendlichen Geschichte erinnert.
    »Ach was, ich wäre doch dumm, wenn ich Sie nicht eingeladen hätte.« Er setzt sich wieder auf seinen Drehstuhl, nippt an seinem Kaffee, verzieht kurz das Gesicht, schiebt die Tasse von sich und sieht dann wieder erwartungsvoll zu mir. »Nun erzählen Sie mal, haben Sie denn noch Interesse an einer Zukunft in der Medienbranche?«
    »Ja, auf jeden Fall!« Ich nicke heftig.
    »Gut. Ich habe mir da nämlich etwas überlegt, was ich Ihnen gerne vorschlagen würde.« Herr Rosendaal lehnt sich zurück. »Haben Sie schon mal an ein Volontariat gedacht?«
    »Natürlich … ja …« Ich räuspere mich. »Aber es ist schwer, an solche Stellen heranzukommen.«
    »Ja, da haben Sie recht.« Er lächelt. »Aber ich biete Ihnen nun die Möglichkeit, sich jetzt auf die Zehenspitzen zu stellen und danach zu greifen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Nun ja, ich bin mir bewusst, dass wir hier kein renommiertes Frauen- beziehungsweise Modemagazin sind. Wir drucken nicht in Hochglanz – und wenn man mal von unserem Oberbürgermeister und dem FC Bayern absieht, sind wir auch relativ fern von Promiklatsch und Ähnlichem. Aber falls Sie Interesse haben, würde ich mich freuen, Sie als Volontärin in unserem Hause zu begrüßen.« Abwartend sieht er mich an, dabei huschen seine Augen über mein Gesicht, um es

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