Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)
ausbrechen, und während der Anprobe stolpern wir ständig über unsere Tasche oder unsere eigenen Klamotten.
Das angenehme Rot des Kleides zaubert uns nicht mehr wie gewohnt diesen wunderschönen Schneewittchenteint, sondern lässt uns eher einer Wasserleiche gleichen. Folge: Anstatt uns dieses traumhafte Kleid zu kaufen und mit stolzgeschwellter Brust tütenschwingend nach Hause zu trippeln, verlassen wir das Geschäft ohne Beute, dafür aber mit schwerer Depression, die noch zwei Tage lang anhalten wird. Wir fühlen uns hässlich, ungeliebt und von allen Modemachern dieser Welt grundlegend verarscht.
Wäre ich Besitzerin einer Boutique oder eines Kaufhauses, würde ich meine Umkleidekabinen ganz anders gestalten. Ich würde beispielsweise die Kabine großräumiger anlegen und dafür lieber auf Ramschständer Nummer 85 im Laden verzichten. In der Umkleidekabine selbst müsste ein großer Spiegel aufgehängt werden, leicht gekippt, sodass er die Figur optisch streckt und schlanker erscheinen lässt. Ich würde warmes, weiches Licht installieren, vorteilhaft ausgerichtet, sodass es dem Teint schmeichelt, aber auch die Farben der Kleidung angenehm erscheinen lässt. Außerdem müssten innen reichlich Haken für Taschen und Mäntel und davor ein kleiner bequemer Sessel vorhanden sein, auf dem die beste Freundin gemütlich sitzen und die einzelnen Outfits begutachten kann.
Und dann, wenn Frau in solch einer Kabine das Kleid ihrer Träume anprobiert und feststellt, dass es ihre Erwartungen sogar noch übertrifft und sie zur Königin der Nacht zu machen vermag, dann würde sie dieses einzigartige Gefühl mit nach Hause nehmen können und dieses Kleid nicht mehr missen wollen. Denn wir Frauen wollen uns durch den Einkauf unserer Klamotten besser fühlen, nicht schlechter. Und wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, kann zu dem hübschen Kleid gerne auch noch die passende Clutch hinzukommen und die Strumpfhose und die Kette und der Nagellack und und und …
Euer Papergirl
Essen für den Weltfrieden
»Mann, immer dieser Pärchenschmusescheiß!«, grummele ich nur halb ernst und schiebe mich an Andy und Nina vorbei, die knutschend den Hauseingang blockieren.
»Immer diese alten Meckertanten!«, kontert Nina grinsend und macht einen Schritt zur Seite.
»Nehmt euch doch ein Zimmer!«, erwidere ich lachend. Sie streckt mir die Zunge heraus, ich tue es ihr gleich und lasse dann hinter mir die Haustür zufallen. Oben in meiner Wohnung angekommen, entledige ich mich erst mal der Tasche, Schuhe und Jacke und schlurfe in meine Küche, um Nudelwasser aufzusetzen. Mir ist jetzt nach einer großen Portion Spaghetti mit Thunfischsauce und ein paar Blättchen frischem Basilikum, dazu ein Schluck Cola aus dem Kühlschrank – und danach erscheint die Welt meist gleich wieder klarer. Na ja, kann bei mir auch an dem besänftigten Blutzuckerspiegel liegen.
Auf jeden Fall helfen Pasta bei schwierigen Entscheidungen. Genauso wie Schokoladenpudding. Der heißt ja nicht umsonst bei Janosch Lieblingskummerpudding . Und nein, optimistisch gestimmte Menschen müssen nicht zwingend übergewichtig sein. Man will sich ja nicht täglich in Fett und Zucker suhlen, sondern nur so lange, bis man wieder glücklich ist. Oder eine Entscheidung getroffen hat. Oder zumindest, bis man etwas Produktives, Sinnvolles mit der neu gewonnenen Energie anfangen kann.
Eine halbe Stunde später sitze ich mit Caruso auf der Couch, die obligatorischen Tomatensaucenflecken auf meinem Shirt, den Laptop aufgeklappt, und surfe durchs Internet. Ich klicke auf die Homepage der Stunning Looks und studiere die aktuelle Aufmachung. Perfekte Gesichter lächeln mir auf der Seite entgegen, perfekte Kleidung umhüllt perfekte Körper und inszeniert eine scheinbar perfekte Welt, in der alles glatt, kalt und schnörkellos ist, so wie die Seele dieses Magazins. Okay, die Realität ist nun mal kein Zuckerschlecken, das Leben kein Wunschkonzert und schon gar kein Ponyhof, aber muss man die Menschen dennoch dazu animieren, noch glatter, charakterloser und kälter zu werden? Nur noch auf das Äußere zu achten, innere Werte ganz zu vergessen, nur noch nach Prestige zu gehen und einfach völlig falsche Werte zu vermitteln? Eigentlich macht man die Welt damit doch eher zu einem schlechteren als zu einem besseren Ort. Oder etwa nicht?
Ich suche nach einem Gegenargument für meine imaginäre Pro-und-Kontra-Liste. Ja gut, ohne Mode und Lifestyle wäre das Leben wohl um einiges
Weitere Kostenlose Bücher