Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)
grauer und trister. Gerade ich als Fashion Victim muss gestehen, dass Mode diese Welt einfach bunter und die eigene Persönlichkeit vielgestaltiger macht. Wenn man schon ein Leben mit Höhen und Tiefen durchmachen muss, warum sollte man es sich dann nicht so ausstatten und sich anziehen können, wie man will? Und das auch allen anderen zeigen können? Hm …
Ich hole mir eine neue Portion Nudeln und denke weiter angestrengt nach. Eine zahmere Version der ganzen Fashion-Maschinerie wäre schön. Weniger Diktatur, weniger Gruppenzwang, weniger Macht der finanziellen Mittel. Einfach nur Spielerei, Kreativität und Ablenkung von der unfreundlichen, regnerischen Seite des Lebens. Ich lasse mich wieder neben Caruso sinken, der kurz an meinem Tellerrand schnuppert, und surfe weiter zur Internetseite der München Aktuell. Hier bietet sich mir ein ganz anderes Bild. Ich finde zwar auch eine gewisse Glätte vor, aber es ist die des Verzichts auf unnötige Ablenkung vom Wesentlichen, dem schlichten Aneinanderreihen von Fakten. Und der Sinn dahinter ist ein ganz anderer: Hier sollen die Menschen auf Kälte und Missstände aufmerksam gemacht werden, um die Welt zu einem besseren Ort machen zu können. Das Augenmerk der Leser soll auf die Notwendigkeit der Gemeinschaft gelenkt werden, auf die Fehler, die sie jeden Tag begehen, und ihnen die knallharte Realität vor Augen halten, statt sie zu beschönigen und ihnen künstliche Perfektion und falschen Stolz einzureden.
Und auf welche Seite soll ich mich jetzt schlagen? Ist die Stunning Looks wirklich so schlecht, wie ich es mir gerade einzureden versuche? Und die München Aktuell so viel besser?
Vor einer Stunde noch hätte ich nicht gedacht, dass ich heute noch an etwas anderes denken könnte als an meine bevorstehende Entscheidung. Doch jetzt weiß ich: Ich kann. Nämlich an ein traumhaftes Himmelbett, kratzende Bartstoppeln auf meiner Haut und in einer Lederjacke steckende Arme, die mich immer wieder an sich ziehen. Und die dann folgenden zärtlichen Küsse. Eine sehr, sehr willkommene und angenehme Ablenkung kann ich nur sagen!
»Süße, bist du dir sicher, dass du heute Zeit mit mir verbringen willst?«, höre ich Severins Stimme irgendwo zwischen meiner Schulter und meinem Ohrläppchen.
»Hm?«
»Du wirkst so abwesend. Ist alles okay?« Oh, anscheinend hat das mit der Ablenkung doch nicht so geklappt, wie ich mir das gedacht habe. Merkt man mir meine Grübeleien wirklich so an? Ich sollte wirklich nicht an die Arbeit denken, während ich in den Armen eines jungen, blonden und kussfreudigen Mannes liege! Bin ich denn verrückt geworden?
»Quatsch, ich bin vollkommen bei der Sache!«, nuschele ich in seine Haare. »Alles prima, ehrlich!«
»Hm, glaub ich dir nicht.«
»Doch, doch. Hey … Nicht aufhören!« Empört blicke ich hoch, denn Severin hat sich aufgesetzt und das zarte Streicheln an meinem Hals abrupt aufgehört.
»Soll ich dich nach Hause fahren?« Er stützt sich mit dem Arm im Bett auf und macht ein sehr ernstes Gesicht. Er wird doch nicht etwa schmollen?
»Nein! Ich hab doch gesagt, es ist alles okay!« Super, jetzt bin ich auch noch genervt. Warum muss er denn jetzt alles kaputt machen? Ich verschränke trotzig meine Arme. Einen Moment lang schweigen wir uns an. Aber lange halte ich diesen Zustand nicht aus. Typisch weiblich vermute ich.
»Ach komm schon, Severin«, schnurre ich und wende mich ihm wieder zu, »lass uns nicht streiten, ja?« Meine Hand wandert unter sein Hemd, und ich lasse meine Fingerspitzen seinen Bauch hinaufkrabbeln. »Ich habe zurzeit einfach so viel im Kopf wegen der Arbeit, weißt du? Es ist nicht wegen dir! Ganz im Gegenteil: Wärst du nicht, dann würde ich vermutlich komplett verzweifeln.«
»Grmpf.« Nicht mehr als ein Grummeln. Na gut, dann muss ich meine Taktik eben ändern.
»Severin …« Ich sehe von unten zu ihm hinauf und versuche es mit einem netten Kleinmädchenblick. »Sei mir nicht böse!«
»Grmpf.« Diesmal klingt das Grummeln schon freundlicher, nicht mehr ganz so finster.
»Meinst du, ich hätte dich angerufen, wenn ich keine Lust hätte, dich zu sehen? Ich hab dich total vermisst!« Versuchsweise knabbere ich an seinem Ohr, und siehe da, er kapituliert mit lautem Seufzen.
»Ich bin dir doch nicht böse, Kleines. Ich mag es nur nicht, wenn du mit deinen Gedanken woanders bist und ich nicht weiß, wo und warum.«
»Du bist doch nicht etwa eifersüchtig?«
»Nein! Sollte ich denn?«
»Wer weiß …
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