Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)
will es auch gar nicht wissen!« Ich wende mich schmerzerfüllt ab und will den Fahrstuhl verlassen, doch Jans Hand schnellt nach vorne und umschließt meinen Oberarm.
»Doch, frag mich!«, bittet er.
»Nein!«
»Frag mich, warum!« Seine Stimme wird eindringlich, und seine Augen flackern verzweifelt.
»Jan, lass mich los! Ich will es nicht wissen!«
»Du musst es aber wissen! Und ich werde dir jetzt sagen warum, ob du es hören willst oder nicht.« Er zieht mich ein Stück zu sich heran und dreht mich an den Schultern, sodass ich ihn ansehen muss. »Ich habe sie nie geliebt, Vicky! Ich schwöre es dir, ich habe Julia nie geliebt! Ich war einfach nur so schrecklich verzweifelt, so verwirrt wegen meiner Gefühle zu dir. Und ich hatte so Angst davor, dich zu verlieren oder mindestens genauso, dich als beste Freundin zu behalten und trotzdem nie haben zu können! Ich dachte, mit dieser Beziehung könnte ich mich ablenken – und wenn ich ganz ehrlich bin, wollte ich dir auch ein bisschen wehtun, indem ich ausgerechnet mit Julia zusammenkomme. Vielleicht wollte ich dich unbewusst für die Gefühle bestrafen, die du in mir ausgelöst hast, ich kann es nicht genau sagen. Aber ich habe immer nur an dich gedacht, ich habe immer nur dich unter meinen Händen spüren wollen, nur dich auf meinen Lippen schmecken, nur dein Gesicht zum Lächeln bringen, nur deine Stimme an meinem Ohr hören! Ich habe mich nach deiner Nähe gesehnt und mich dabei gefühlt wie auf Entzug. Und ich tue es immer noch! All die Wochen habe ich mir eingeredet, dieses Gefühl würde vorübergehen, aber ich kann es einfach nicht beherrschen, sondern das Gefühl beherrscht mich, verstehst du? Ich komme gegen meine Vernunft nicht mehr an, mein Herz ist so unglaublich viel stärker, und ich will mich nicht mehr dagegen wehren!« Bei diesen Worten rinnt etwas Warmes meine Wangen hinab, und ich stelle fest, dass es meine Tränen sind, die zu laufen begonnen haben, als hätte jemand einen Wasserhahn aufgedreht. »Victoria.« Jans Stimme klingt jetzt sanft, seine Finger umfassen mein Kinn, und er küsst mit seinem rauen, warmen Mund eine Träne von meinem Gesicht. Seine Bartstoppeln streifen meine Haut und verursachen Gänsehaut auf meinen Armen.
Und plötzlich fühle ich mich so verzweifelt, so unsagbar hilflos, und kämpfe gegen das laute Schluchzen an, das sich spürbar in meiner Brust aufstaut. Durch meinen Tränenschleier hindurch sehe ich ihn an, diesen Mann, der mir so unbeschreiblich viel bedeutet, der mir so wehgetan und mich so enttäuscht hat. Der mich so verletzen kann wie niemand sonst auf der Welt, weil nur er Zugang zu der zerbrechlichsten Stelle meines Körpers hat.
Er streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die an der nass geweinten Haut klebt, und sein Daumen fährt über meine Unterlippe. »Ich weiß zwar nicht, was du mit mir machst«, er sieht mir wieder tief in die Augen, »aber hör bitte nie wieder damit auf!«
Das ist einfach zu viel, mehr kann mein Herz nicht ertragen. »Jan, es geht nicht!« Ich reiße mich von ihm los, und jetzt kann ich das Schluchzen doch nicht mehr unterdrücken. »Du hast mich so verletzt! Du hast mich so unbeschreiblich schwer enttäuscht, und ich glaube nicht, dass ich das je vergessen und dir verzeihen kann! Es gibt für uns keine Chance mehr, du hast alles kaputt gemacht!«
»Ich weiß – und ich kann dir gar nicht sagen, wie leid mir das tut und wie sehr ich das alles bereue! Aber vielleicht gibt es doch noch eine Chance für uns …« Seine Augen flackern vor Verzweiflung.
»Das reicht einfach nicht! Es tut mir auch leid, aber es ist zu spät!« Ich flüchte aus dem Fahrstuhl, am ganzen Körper zitternd. Nach einigen Schritten drehe ich mich noch einmal um. Er steht immer noch im Aufzug, mit schmerzerfülltem Gesicht, die Kiefer aufeinandergepresst. Ich sehe ihn an und ich habe das Gefühl, zu ertrinken vor Liebe. Und dann wende ich mich endgültig ab und verlasse das Gebäude der Stunning Looks, in dem sich wahrscheinlich das erste Mal in seiner Geschichte etwas durch und durch Menschliches abgespielt hat.
Wenn du fragst
›Warum musste ich mich für dich gewinnen‹
Dann sage ich
›Straßenköter wie ich sind manchmal gerne drinnen‹
Und wenn einer von uns beiden
Wieder streunend verschwindet
Ist die Liebe wie Gebell
An den Mond, der uns verbindet.
(»Liebesbrief« von Thomas D.)
Epilog
»Frau Schäfer? Haben Sie schon den Artikel über
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