Kann es wirklich Liebe sein
Mitchells Männer von Osten oder Westen her kämen, hätten Travis und seine Brüder kaum eine Chance gehabt, sie ausfindig zu machen. Draußen zwischen den Bäumen hatten sie die Möglichkeit, die Männer so früh zu sehen, dass diese keine Fackel in Richtung der Scheune werfen konnten.
Außerdem wollte Travis ein Auge auf das Haus haben. Und auf Meredith. Er konnte immer noch nicht glauben, dass sie hierhergekommen war, um ihn zu warnen. Eine schöne Frau wie sie sollte mit ihrer Zeit andere Dinge anzufangen wissen, als die heruntergekommenen Scheunen von heruntergekommenen Männern zu retten, die schon vor Jahren den Kontakt zur Zivilisation verloren hatten.
Aber sie war gekommen. Weil sie sich ihm verpflichtet fühlte. Travis schüttelte den Kopf, als er abstieg und sein Gewehr aus der Satteltasche zog. Er hatte bemerkt, dass die junge Frau ihr rechtes Bein stärker belastete – und das wegen einer Verletzung, die er mit zu verantworten hatte. Aber anstatt ihm die Schuld dafür zu geben, hatte sie den weiten Ritt auf sich genommen, um ihm zu helfen. Nicht gerade typisch für eine Frau.
Allerdings hatte er auch noch nicht viele Erfahrungen mit Frauen gemacht. Nach der achten Klasse hatte er die Schule verlassen müssen, um mit seinem Vater die Farm zu führen, und wieder ein paar Jahre später hatte er alleine seine eigenen Geschwister erziehen müssen. Abgesehen von einigen sporadischen Kirchbesuchen mit vierzehn Jahren hatte er mit dem schönen Geschlecht noch nichts zu tun gehabt.
Travis rieb sich über das stoppelige Kinn und fragte sich zum ersten Mal, was er wohl für einen Eindruck auf sie gemacht haben mochte. Sie musste ihn für verrückt halten, wo er doch wie ein Wilder herumlief, Gewehre auf harmlose Frauen richtete und mit Befehlen um sich warf wie ein General. Doch als er mit den Jungs zurück ins Haus gekommen war, nachdem sie draußen alle Vorbereitungen abgeschlossen hatten, und er sie so in der Küche hatte stehen sehen, da hatte sich sein Herz vor Sehnsucht zusammengezogen. Und er war nicht der Einzige gewesen, dem es so ergangen war. Crockett und Jim hatten es auch gespürt. Und selbst Neills Jugend hatte ihn nicht davor geschützt.
Während Travis in die Dunkelheit starrte und auf auffällige Bewegungen achtete, flogen Fragen über Fragen durch seinen Kopf und lenkten ihn ab. Wäre seine Reaktion bei jeder Frau so ausgefallen, die in der Küche stand und diese heimelige Atmosphäre verbreitete? Oder lag es an Meredith, dass sein Beschützerinstinkt auf sie reagierte und er sich von ihr angezogen fühlte?
Travis verschränkte die Arme und lehnte sich mit der Schulter an den Baum neben sich. Es war schade, dass sie bald wieder von hier fortgehen würde. Gerne hätte er versucht, Antworten auf seine Fragen zu finden.
Kapitel 6
Merediths Kopf, der ihr auf die Brust gesunken war, zuckte nach oben und sie musste mehrmals blinzeln, um sich zurechtzufinden. Sie starrte von ihrem Platz im Schaukelstuhl aus in die Dunkelheit hinaus, konnte aber nichts Sonderbares erkennen. Nachdem sie die dicken Falten ihres warmen Quilt-Kokons um sich herum neu drapiert hatte, lehnte sie sich entspannt zurück und gestattete ihren Augen, sich wieder zu schließen.
Da erklang ein tiefes Grollen zu ihren Füßen, das in einem scharfen Bellen mündete.
Meredith riss die Augen auf und setzte sich hektisch aufrecht hin. „Hast du etwas gehört, Sadie?“, flüsterte sie erschrocken. Sie befreite ihre Arme aus dem Quilt und griff nach der alten Flinte, die sie in der Abstellkammer gefunden hatte.
Sadie hatte sich erhoben und stand steif und mit angelegten Ohren da. Meredith erhob sich nun ebenfalls. Mit zitternden Händen umklammerte sie das Gewehr und richtete es mit der Hoffnung in die Nacht hinaus, jemanden zu erspähen, der dort nicht hingehörte. Doch die Scheune war nichts weiter als ein dunkler, unförmiger Schatten vor schwarzem Hintergrund.
Dann löste sich plötzlich ein Schatten. Dann noch einer. Und noch einer. Drei kleine Silhouetten. Merediths Herz pochte ihr bis zum Hals. Ihr Puls beschleunigte sich immer weiter, während sie leise die Veranda entlangschlich. Hatten Travis und die anderen ihre Posten im Wald schon wieder verlassen oder hatten sich Roys Männer unbemerkt anschleichen können?
Während sie noch mit sich selbst rang, was sie am besten tun sollte, spielte eine Brise mit den losen Strähnen ihres Haares – eine Brise, die einen bekannten, süßlichen Duft mit sich
Weitere Kostenlose Bücher