Kann ich gleich zurueckrufen
auftauchen – vielleicht ist sie ja nicht allein und geht deshalb nicht ans Telefon.
»Deine Mutter ist verliebt?«, fragt mein Mann, nachdem ich ihm meine Überlegungen dargelegt habe. Es klingt nicht spöttisch, nur fragend. Ich sage, dass ich über das sogenannte Privatleben meiner Mutter nicht gut Bescheid weiß. Mein Vater ist seit über einem Jahr tot, die letzten Monate lag er nur im Bett und musste rund um die Uhr betreut werden. Das hat meine Mutter gemacht, und sie hat nie darüber geklagt. Ich habe sie nie gefragt, ob es da vielleicht jemanden gibt, und sie hat auch nie etwas erwähnt.
»Ich fahre morgen früh zu ihr. Gegen acht. Wenn sie dann nicht zu Hause ist, läute ich bei ihrer Nachbarin.« Mein Mann nickt. Guter Plan, sagt er.
»Brauchst du eigentlich noch was für deine Amerika-Reise?«, frage ich. Ich will nicht weiter über meine Mutter reden. Mein Mann holt seinen Laptop. Er zeigt mir die Internetseite des Hotels, in dem er in der nächsten Woche untergebracht ist. Dann zeigt er mir Bilder des Autos, das vorgestellt wird. Zuerst sehe ich das Auto von außen, dann von innen – mein Mann ist stolz auf das Design, das er mit entwickelt hat. »Schau, statt eines Aschenbechers haben wir einen Kleenex-Spender eingebaut. Und hier gibt es einen Getränkehalter in variabler Größe: passend für Wasserflaschen und für Milchflaschen.«
Ich staune. Wie die Details unseres Lebens in die Arbeit meines Mannes einfließen. Wir suchen ständig ein Taschentuch im Auto. Und haben scheußliche, eingetrocknete Milchflecken auf den Polstern unserer Autositze. »Wie wäre es mit einem wasserdichten Überzug für den Beifahrersitz«, sage ich. »Optional fürs Handschuhfach. Weißt du noch, wie wir auf dem Weg in den Urlaub zum ersten Mal im Auto wickeln mussten? Ich hatte solche Angst vor der vollen Windel. Und vor den Leuten, die uns auf dem Parkplatz an der Autobahnraststelle beobachtet haben.« Mein Mann lacht. Und notiert meine Idee.
Ich hole ein paar Käsecracker und schenke noch mal Wein nach. Qualitätszeit mit meinem Mann – die darf auch nicht immer zu kurz kommen, denke ich. Ich muss wirklich noch einen Babysitter finden. Damit wir mal wieder ins Kino gehen können. Oder ein Glas Wein trinken – mal nicht am Küchentisch.
Da klingelt das Telefon. Meine Mutter, denke ich, und gehe ins Wohnzimmer. Das Telefon liegt auf dem Sofa. Ich sehe auf die Uhr. 21:20 Uhr. Da bist du ja, sage ich in den Hörer. Doch die Anruferin ist nicht meine Mutter, sondern die Nachbarin meiner Mutter. Sie hat den ganzen Tag versucht, mich zu erreichen. Während ich noch erkläre, dass wir keinen Anrufbeantworter haben, steigt in mir die Angst hoch. Ganz sicher, es ist etwas passiert mit meiner Mutter.
Gestern Abend war sie mit meiner Mutter im Stadttheater, sagt die Nachbarin. Und in der Pause hat meine Mutter gesagt, dass sie sich nicht wohl fühlt. Dass sie plötzlich nicht mehr richtig sehen kann. Sie sind dann mit einem Taxi heimgefahren. Im Taxi schon ist meine Mutter seltsam gewesen. »Ich hab sie kaum verstanden, so undeutlich hat sie gesprochen«, sagt die Nachbarin. »Zu Hause hab ich ihr dann auf der Treppe geholfen, sie konnte das eine Bein nicht mehr abwinkeln. Und hat es vor ihrer Wohnungstür auch nicht geschafft, den Schlüssel ins Schloss zu stecken.« Schlaganfall, schießt es mir durch den Kopf. Nein! »Ich hatte kein gutes Gefühl«, sagt die Nachbarin, »und da hab ich einen Krankenwagen gerufen. Ihre Mutter liegt jetzt im Städtischen Krankenhaus.«
Die Nachbarin sagt, sie hat heute Vormittag im Städtischen Krankenhaus angerufen, aber man wollte ihr nichts sagen. Weil sie ja nur die Nachbarin ist und keine Verwandte. Deswegen weiß sie nichts Genaueres. Ich sage ihr, dass ich sofort im Krankenhaus anrufe. Und ihr dann Bescheid gebe.
Ich notiere die Telefonnummer der Nachbarin und die des Städtischen Krankenhauses. Schnell wähle ich die Nummer der Telefonzentrale und frage nach meiner Mutter. Sie ist gestern Abend eingeliefert worden, sage ich und wiederhole ihren Namen. Ich werde mit Station 3a verbunden: Neurologie. Stroke Unit. Schlaganfall, denke ich wieder. Es dauert ein bisschen, bis ich die Nachtschwester am Telefon habe. Tiefe Nacht im Krankenhaus. Die Schwester bestätigt, dass meine Mutter auf ihrer Station liegt. Sie ist gestern Abend mit Verdacht auf Schlaganfall eingeliefert worden. Jetzt schläft sie, sagt die Schwester.
Wie geht es ihr denn?, frage ich. Sie schläft, wiederholt
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