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Kann ich gleich zurueckrufen

Kann ich gleich zurueckrufen

Titel: Kann ich gleich zurueckrufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Streidl
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die Schwester, mehr kann sie gerade nicht sagen. Als sie um 20 Uhr ihre Schicht angetreten hat, war meine Mutter bereits eingeschlafen. In ihrer Krankenakte steht, dass sie Blutverdünner bekommt und heute eine Kernspintomographie gemacht wurde. Das war schon die zweite. Die erste wurde gestern Abend gleich nach der Einlieferung gemacht. Weitere Untersuchungen sind für Montag angesetzt. »Morgen gegen neun ist Visite«, sagt die Schwester. »Da können Sie die Stationsärztin nach Details fragen.« Ich bedanke mich und hinterlasse meine Telefonnummer. Dann lege ich auf und setze mich auf den Boden. Merke erst, dass ich weine, als mein Mann ins Wohnzimmer kommt und fragt, was los ist.
    Er nimmt mich in die Arme und streichelt meinen Rücken, meinen Kopf. Ich schluchze und versuche, ihm zu sagen, was passiert ist. Doch das geht nicht, weil es mich so schüttelt vor lauter Weinen. Es dauert einige Minuten, bis ich mich so weit beruhigt habe, dass ich normal sprechen kann.
    »Meine Mutter hatte einen Schlaganfall«, sage ich. Ich erzähle vom Telefonat mit der Nachbarin. Und vom Telefonat mit dem Krankenhaus. Und dass ich es nicht gewusst habe, dass ich zwar ein schlechtes Gefühl hatte, dass ich aber nicht ahnen konnte, dass ich am Donnerstag schon dachte, dass sie schlecht aussieht, dass ich mir da schon Vorwürfe gemacht habe, weil ich sie als Babysitterin herbestellt hatte. Hier unterbricht mich mein Mann. »Schhhtt«, sagt er. Und dass ein Schlaganfall nicht durch ein paar ruhige Stunden mit einem Enkelkind verursacht wird. »Ich rufe jetzt die Nachbarin an und bringe sie auf den neuesten Stand«, sagt er.
    Er nimmt das Telefon und geht damit in die Küche. 21:45 Uhr. Ich starre auf die Uhr und sehe, wie die Sekunden verrinnen. Um 21:47 Uhr kommt mein Mann mit einem Glas Wasser wieder ins Wohnzimmer. »Sie schickt schöne Grüße«, sagt er und reicht mir das Glas. »Sie schaut nach der Post und gießt die Blumen deiner Mutter. Du musst dich wegen der Wohnung erst mal um nichts kümmern.«
    »Am liebsten würde ich gleich zu meiner Mutter fahren«, sage ich. »Aber wahrscheinlich ist das keine gute Idee.« »Du fährst morgen früh hin«, sagt mein Mann. »Dann ist sie wach. Das ist besser, für sie und für dich. Außerdem kannst du dann mit den Ärzten sprechen.« Schlaganfall, denke ich. Halbseitige Lähmung. Verlust der Sprache. Verlust der Bewegungsfähigkeit. Verlust der Identität. Pflegefall. Tod. »Ich weiß«, sagt er, »Schlaganfall klingt schlimm. Aber vielleicht erholt sie sich wieder. Mit Medikamenten und Reha. Deine Mutter ist ja noch nicht so alt.« Sie ist achtundsechzig, denke ich. Sie hat ein Jahr lang meinen Vater gepflegt, der vom Krebs zerfressen wurde und am Schluss nur noch sterben wollte. Aber sie hatte nie irgendwas. Meine Mutter ist schlank, sie hat nie geraucht, sie passt beim Essen auf und trinkt kaum Alkohol.
    Ich muss irgendwas tun, sage ich. Mein Mann holt seinen Laptop aus der Küche. »Vielleicht hilft es dir, wenn wir uns etwas informieren«, sagt er. Wir sitzen auf dem Boden vor dem Sofa und lesen gemeinsam, was das Internet über das Thema Schlaganfall weiß.
    Wir finden sehr viele Informationen. Schlaganfall. Stroke. Häufig eine Durchblutungsstörung im Gehirn. Nach Krebs und Herzinfarkt die häufigste Todesursache in Deutschland. Bessere Heilungschancen bei schnellem Handeln, weil durch Medikamente mögliche Blutgerinnsel im Gehirn aufgelöst werden können und somit keine dauerhaften Schäden verusacht werden. Viele Folgestörungen: Lähmungen, Probleme beim Sprechen, beim Sehen, beim Erkennen von Gegenständen und ihrer Funktion. Aber auch erstaunliche Regenerationsmöglichkeiten des Gehirns. Rückkehr in einen selbstbestimmten Alltag.
    »Lass uns den Computer ausschalten«, sage ich zu meinem Mann. So viele Informationen. Woher kam das Blutgerinnsel? Hätte es verhindert werden können? Liegt das in der Familie? Bin ich erblich belastet, und ist mein Sohn es vielleicht auch? Wird sie mich erkennen, weiß sie, was passiert ist? Wer bezahlt eine Reha, und hat sie eine Patientenverfügung unterschrieben? Ich bin aufgewühlt, habe viele Fragen und sehe durch die vielen Informationen eher pessimistisch in die Zukunft.
    Ich gehe ins Kinderzimmer und schaue nach meinem Sohn. Er schläft. Viertel vor zwölf. Ich gehe ins Bad, ziehe mich aus und putze meine Zähne. Dann lege ich mich ins Bett. Schließe die Augen. Öffne die Augen. An Schlaf ist nicht zu denken. Versuch, dich zu

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