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Kann ich gleich zurueckrufen

Kann ich gleich zurueckrufen

Titel: Kann ich gleich zurueckrufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Streidl
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nickt. »Möchten Sie einen Kaffee mittrinken?« Ich lehne ab, bedanke mich und verspreche, am Abend noch mal anzurufen, um zu berichten, wie es meiner Mutter geht.
    Wieder im Auto schalte ich das Radio an und fahre los. Das Krankenhaus ist in der Nähe der Wohnung meiner Mutter. Ich stelle das Auto auf dem Besucherparkplatz ab und gehe durch den Haupteingang. Am Empfang frage ich nach Station 3a. Ich gehe durch einen langen Gang und fahre mit dem Aufzug in den dritten Stock zur Stroke Unit. Die Tür zur Station ist verschlossen, ich muss klingeln. Eine Schwester öffnet mir. Ich sage meinen Namen und dass ich meine Mutter besuchen möchte. Die Schwester zeigt auf eine Tür. »Handy bitte aus«, sagt sie, »die Geräte hier sind sehr empfindlich.«
    Meine Mutter liegt in einem Bett am Fenster. Sie hat die Augen geschlossen. Das Bett neben ihr ist leer. Ich bleibe in der Tür stehen und schaue sie an. Und schlucke Tränen herunter. Sie ist verkabelt: Ein Schlauch mündet in ihren linken Handrücken. Der Inhalt von zwei Flaschen läuft langsam über den Schlauch in ihre Hand. In der großen ist sicher Kochsalzlösung, in der kleinen wahrscheinlich ein Medikament. Blutverdünner, hat die Nachtschwester gestern Abend gesagt. An der Kuppe ihres linken Zeigefingers steckt ein Clip, mit dem die Sauerstoffsättigung und der Puls gemessen werden, Kabel ragen aus ihrem Nachthemd heraus, offensichtlich wird ein EKG abgeleitet, mittels einer Manschette am Oberarm wird der Blutdruck kontrolliert.
    Leise trete ich ein und setze mich auf einen Stuhl, der neben dem Bett steht. Ich nehme ihre rechte Hand, die neben der Bettdecke liegt. Meine Mutter reagiert nicht darauf, ihre Hand liegt ganz ruhig in meiner. Nach einer Weile erst öffnet sie die Augen und dreht den Kopf zu mir. Sie lächelt – ihr Lächeln ist schief, der rechte Mundwinkel lächelt nicht mit.
    »Herzchen«, sagt sie. Ich bin froh, dass sie mich erkennt. »Ja, Mama, ich bin da.« Ich streichle ihre Hand und sage erst mal nichts. Dann hole ich das gerahmte Foto aus meiner Tasche. »Schau, was ich dir mitgebracht habe«, sage ich und zeige ihr das Bild vom Eisessen. Sie sieht es sich an, betrachtet es einige Zeit und sagt dann: »Das ist aber länger her, der Kleine ist ja schon viel größer.« Ich nicke. Das Foto wurde an Ostern, also erst vor ein paar Wochen gemacht. Ich stelle das Bild auf das Fensterbrett, sodass sie es sehen kann. Dann nehme ich ihre Hand und spüre wieder keine Reaktion. Ihre Finger umfassen meine nicht.
    Eine Schwester kommt ins Zimmer und nimmt die Reste des Frühstücks mit. Meine Mutter hat nur von der trockenen Semmel gegessen, Marmelade und Butter sind unberührt. Die Semmel sieht aus, als wäre sie von Mäusen bearbeitet worden. Zuerst wundert mich das. Ich kenne meine Mutter als Meisterin der Tischsitten. Doch dann verstehe ich. An der linken Hand Schläuche und Instrumente, die rechte Hand gelähmt. Wie ungenehm muss es meiner Mutter sein, schon an der Hürde Frühstück beinahe zu scheitern.
    Die Schwester kommt wieder herein. Sie bittet mich, kurz rauszugehen, da sie Blut abnehmen möchte. Und den Katheter wechseln. »Ich warte draußen«, sage ich zu ihr und zu meiner Mutter. Ich gehe vor der Tür auf und ab, bis die Schwester rausschaut. »Wollen Sie ihr beim Waschen helfen?«, fragt sie. »Ja, gerne«, sage ich. Meine Mutter liegt im Bett. Sie ist abgedeckt. Auf dem Nachttisch steht eine Schüssel mit Seifenwasser. Die Schwester zeigt auf Waschlappen und Handtuch und drückt mir ein frisches Krankenhausnachthemd in die Hand. »Ich habe ihr ein eigenes Nachthemd mitgebracht«, sage ich zur Schwester. »Gut – aber passen Sie mit den Schläuchen und den Kabeln auf«, sagt die Schwester und geht aus dem Zimmer.
    Ich habe meine Mutter noch nie gewaschen. Ich habe sie auch noch nie angezogen. Das sage ich ihr. Und auch, dass ich mich daran erinnern kann, wie sie mich angezogen hat, als ich klein war. Und wie sie mir abends im Bett die Zähne geputzt hat, wenn ich nicht schlafen konnte und noch ein Glas Milch verlangt habe. Ich wasche sie, trockne sie ab. Dann helfe ich ihr, das weiße Krankenhausnachthemd auszuziehen und ihr eigenes anzuziehen. Ich hole auch eine frische Unterhose aus ihrer Tasche.
    Ich bemerke die Folgen des Schlaganfalls: Meine Mutter kann beide Beine bewegen, aber der rechte Arm und die rechte Hand funktionieren nicht so recht. Ich decke sie zu und reiche ihr die Zahnbürste. »Kannst du das machen?«, bittet sie.

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