Kann ich gleich zurueckrufen
bringt das Mittagessen. Fleischbällchen und Reis mit Sauce, dazu eine kleine Schüssel Salat. Zum Nachtisch Birnenkompott. Und eine Flasche Wasser und ein Glas. »Sie müssen viel trinken«, sagt die Schwester und schenkt Wasser in das Glas. Ich helfe meiner Mutter, sich im Bett hinzusetzen, klemme das Kopfkissen zwischen Rücken und Bettgestell und schiebe den am Nachttisch angeschraubten Tisch zu ihr. Sie nimmt die Gabel in die rechte Hand. Dann legt sie die Gabel wieder hin. »Kannst du mir helfen?«, fragt sie. Ich vermenge Reis mit Sauce, spieße ein kleines Stück Fleisch auf und helfe meiner Mutter beim Essen. Was mir viel normaler erscheint als das Waschen und Anziehen heute Morgen. Wer kann schon ohne zu kleckern im Bett essen, wenn im linken Handrücken ein Venenkatheter steckt, am linken Zeigefinger ein Clip und die rechte Hand bis vor kurzem noch gelähmt war? Vor allem, wenn es Reis gibt. Das Füttern klappt gut, meine Mutter isst viel, auch Salat. Nur Kompott will sie nicht. »Später«, sagt sie.
Ich schiebe den Betttisch weg und reiche ihr das Glas. Sie trinkt. »Du hast doch sicher auch Hunger«, sagt sie. »Jetzt hab ich alles aufgegessen, das tut mir leid.« Ich lächle. Das ist typisch meine Mutter. Sie hat immer geschaut, dass meine Bedürfnisse gestillt waren, dann erst hat sie sich um sich selbst gekümmert. Nur beim Essen musste sie zuerst dran sein. Sie kriegt entsetzlich schlechte Laune, wenn sie in den Unterzuckerbereich kommt. Das hat sie mir schon früh erklärt.
»Ist schon gut«, sage ich. »Ich habe gar keinen Hunger.« Ich nehme ihre rechte Hand und halte sie fest. »Weißt du noch, wie wir diese lange Wanderung gemacht haben? Irgendwann sind wir falsch abgebogen, weil Papa die Karte nicht eingesteckt hatte. Und wir haben die Wirtschaft Zur schönen Aussicht einfach nicht gefunden. Ich war müde und wollte, dass du mich trägst. Du hast es nicht gemacht, bis ich dir den Schokoladenhasen gegeben habe, den ich heimlich aus dem Osternest genommen und in meinen Rucksack gesteckt hatte. Zuerst wolltest du schimpfen – es war ein großer Hase. Der in der Sonne ziemlich weich geworden war. Dann hast du aber gelacht und die Schokolade mit mir geteilt.« Meine Mutter sieht mich an und lächelt ihr schiefes Lächeln. »Und der Papa hat uns fotografiert, mit unseren Schokoladenmündern«, sagt sie.
»Wo ist er denn, der Papa?«, fragt sie dann und dreht den Kopf zum Fenster. Ich drücke ihre Hand und schließe die Augen, weil ich spüre, wie die Tränen wieder hochsteigen. Jetzt nicht weinen, denke ich. Ich kämpfe lange mit den Tränen. Dann öffne ich wieder die Augen. Meine Mutter ist eingeschlafen. Ich lasse ihre Hand los und stehe auf. Vielleicht esse ich doch etwas in der Cafeteria, denke ich und gehe aus dem Zimmer.
Die Cafeteria ist ein großer Raum mit anschließender Terrasse im Erdgeschoss des Krankenhauses. Die Tische und Stühle sind blau, es gibt eine Glasvitrine mit Kuchen und eine Theke, an der man warme und kalte Snacks bestellen kann. Ich entscheide mich für ein Sandwich mit Salatbeilage, dazu eine Cola.
Ich setze mich an einen der blauen Tische und schalte mein Handy ein. 12:05 Uhr. Ich bin seit gut vier Stunden in diesem Krankenhaus. Ob es am ausgeschalteten Handy liegt oder am Ort selbst – mein Zeitgefühl funktioniert hier nicht. Es kommt mir vor, als wäre ich gerade erst angekommen. Langsam esse ich Sandwich und Salat. Ich merke, dass ich noch nicht zurück ins Zimmer meiner Mutter will, und sehe mich in der Cafeteria um.
Fünf Tische sind besetzt, von Familien mit kleinen Kindern, aber auch älteren Erwachsenen, die Patienten, einige im Rollstuhl, besuchen. Eine Frau hat ein Baby auf dem Arm, neben ihr sitzt ein anderes, vielleicht dreijähriges Kind. Mir ist nicht klar, ob die drei auf jemanden warten oder selbst in Behandlung sind. In jedem Fall weint das Baby, und das Kind quengelt, beide sind ziemlich laut. Die Frau versucht das Baby zu beruhigen, sie wiegt es in den Armen und bietet immer wieder einen Schnuller an. Gleichzeitig ermahnt sie das andere Kind, Ruhe zu geben.
Eine elegante ältere Frau, die am Nebentisch sitzt, dreht sich zu der Frau mit den Kindern um und schimpft: »Ein Krankenhaus ist kein Spielplatz! Sorgen Sie bitte für Ruhe!« Dann wendet sie sich wieder ihrer Begleitung zu, einem älteren Mann in Bademantel und Hausschuhen. »Also, Leute gibt’s«, zischt sie ihm zu. Von den anderen Gästen reagiert niemand. Ein Mann betritt die
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