Kannst du mir verzeihen
flüsterte Hanny. »Und ich finde es scheiÃe, dass du mir fehlst. Ich will dich nicht vermissen, ich will einfach gar nichts mehr spüren. Ich will, dass mir alles egal ist. Bastian wer? Ach, ja, stimmt, den kannte ich. Ist Jahre her. Netter Typ. Dachte ich zumindest. Bis ...«
Sie schenkte sich einen weiteren Schluck ein.
Jai wachte im Morgengrauen von ohrenbetäubend lauter Musik auf.
Volle Lautstärke. Coldplay. Charlie Brown.
Verschlafen rappelte er sich im Bett auf.
Keine Hanny. Keine Nancy.
Entführt! AuÃerirdische!, schoss ihm als Erstes durch den Kopf, doch dann schalt er sich selbst für seine Hysterie, zog sich seine Klamotten über den Schlafanzug und hüpfte, sich noch die Hose hochziehend, die Treppe hinunter. Die letzten beiden Stufen fiel er mehr, als dass er ging oder hüpfte, dann fing er sich und stakste in die Küche.
Das kleine Hündchen war schon da.
Nancy hatte es irgendwie geschafft, auf die Bank vor dem Fenster zu gelangen, lief dort rastlos hin und her, jaulte und wedelte mit dem Schwanz. Zwischendurch drückte sie das Köpfchen gegen die Glasscheibe, als wolle sie Jai etwas zeigen.
Er sah hinaus.
Ãberall Schnee.
Und Hanny.
Hanny tanzte im Schnee.
Die Arme ausgebreitet, den Kopf im Nacken drehte sie sich und drehte sich und drehte sich.
Sie sah nach oben, in den heller werdenden Himmel. Es war ihr, als könne sie fliegen.
»Hanny! Was machst du da?!«
Es dauerte eine Weile, bis sie zum Stillstand kam. Wie ein Kreisel. Jai gab ihr die Hand, um sie zu halten, aber sie torkelte noch ein bisschen und schielte beim Versuch, Jai anzusehen.
»Hanny, was machst du da?« Mit einer tiefen Sorgenfalte auf der Stirn sah er sie an.
Aber sie grinste nur.
»Ich leuchte im Dunkeln«, sagte sie noch, dann fiel sie um.
Landete fast lautlos im Schnee.
Jai betrachtete sie.
Dann lachte er.
Fing an, sich zu drehen.
Lieà sich neben sie in den Schnee fallen.
Ihre Atemwolken wurden eins.
Dann drehte er sich zu ihr um.
»Du hast von dem Brandy getrunken, Hanny.« Aus seiner Stimme klangen Sorge und Belustigung.
»Ich habe von dem Brandy getrunken, Jai.«
Sie nickte. Auf ihrem blonden Haar glitzerten Schneekristalle.
»Du bist blöd«, sagte er liebevoll.
»Ich bin blöd«, bestätigte sie. »Ich bin saublöd. Ich war so blöd zu glauben, dass er der Mann meines Lebens ist, Jai ...« Ihre Stimme wurde rau und drohte zu brechen. »Ich dachte, er wäre der Mann meines Lebens.«
Schweigend nahm Jai ihre Hand und drückte sie.
Ein wahrer Freund ist jemand, der sich neben einen in den Schnee legt, einem mit seiner blau gefrorenen Hand die blau gefrorene Hand hält, mit einem lacht, mit einem weint, einen im Arm hält, bis man aufhört zu weinen, einen wieder ins Haus bringt, einem das Haar aus dem Gesicht hält, während man sich auf unschöne Weise des Brandys entledigt, den man sonst nie trinkt, der einen unter die warme Dusche stellt, einem saubere Sachen anzieht und ins Bett packt.
Und das alles ohne ein einziges belehrendes Wort.
Jai wachte um kurz vor zwölf auf. Hanny schlief tief und fest, den Mund leicht geöffnet, und rührte sich keinen Millimeter, als Jai so leise wie möglich, aber de facto lauter als sonst aufstand.
Nancy sah ihn aus einem schwarzen Auge reichlich vorwurfsvoll an, aber Hanny schlief weiter. Auf Zehenspitzen schlich er sich nach unten und staunte nicht schlecht, als er das Chaos vorfand, das Hanny vergangene Nacht in der Küche veranstaltet hatte. Wie es aussah, hatte sie der HeiÃhunger gepackt, bevor sie zum Tanzen hinaus in den Garten gegangen war. Alle möglichen Sachen lagen angeknabbert herum, als hätte sich eine räuberische Riesenmaus über sie hergemacht.
Summend fing er an aufzuräumen. Jai tat das gerne. Er liebte es, Gummihandschuhe zu tragen und sich mit einem Putzlappen und einer Flasche Reinigungsmittel zu bewaffnen.
Als Hanny schlieÃlich aufstand, war alles picobello sauber, und auf dem Tisch warteten frisch gebrühter Kaffee und ein koreanisches Eiersandwich auf sie.
Leider fühlte Hanny sich, als hätte man ihr aus nächster Nähe mit einer Winchester SXP in den Kopf geschossen, und verspürte herzlich wenig Appetit auf Toast mit Ei, Kohl, Möhren und braunem Zucker. Aber sie war Jai so dankbar für seine Fürsorge, dass sie trotzdem einen Biss wagte. Sie würgte und versuchte
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