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Kannst du mir verzeihen

Kannst du mir verzeihen

Titel: Kannst du mir verzeihen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Harvey
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Leberwurst zu spielen. Bei ihr zu Hause hätte das wenig gebracht, denn dann hätte Hanny es ja nicht mitbekommen. Und beleidigte Leberwurst zu spielen brachte nun mal nur dann etwas, wenn der, wegen dem man beleidigt war, das auch mitbekam.
    Hanny beschloss, die beiden zu ignorieren, und hing ihren Gedanken nach.
    Oliver.
    Oliver und sie .
    Das löste gemischte Gefühle in ihr aus. Sehr seltsame gemischte Gefühle. Sie war verwirrt, erstaunt und wütend, und in all das mischte sich auch ein bisschen ... Konnte das wirklich sein? Ja, tatsächlich. Sie empfand Erleichterung. Denn wenn sie mit Oliver zusammen war, war sie ja ganz sicher nicht mit Bastian zusammen. Obwohl ...
    Hanny schüttelte den Kopf, um diesen üblen Gedanken so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Lieber wollte sie sich mit einem geringeren Übel ablenken: dem Geschenk vor der Haustür.
    Das fiel heute mal wieder ziemlich groß aus. Und es war schwer. Sie entfernte die übliche geschmackvolle Verpackung und öffnete die Schachtel. Sie gab eine weitere Schachtel preis. Und diese eine dritte.
    Und die war aus Plastik.
    Es war eine ihr wohlbekannte Tupperwaredose.
    Sie wusste, was darin war, nahm sie mit in die Küche und stellte sie auf den Tisch: Es war der Christmas Cake, den sie normalerweise jedes Jahr zusammen machten. Wobei Bastian natürlich die Leitung übernahm. Er kaufte die Zutaten, maß und wog alles ab, vermischte dies und jenes und dann alles, füllte es in die Backform und schob diese in den Ofen. Hanny durfte zwischendurch den Teig umrühren. Und genussvoll den Duft einsaugen, während der Früchtekuchen buk. Für gewöhnlich musste sie sich sehr beherrschen, sich nicht mit einem scharfen Messer und geifernden Lefzen darauf zu stürzen, sobald er aus dem Ofen kam.
    Wenn der Kuchen ganz abgekühlt war, packte Bastian ihn immer in Backpapier und träufelte mindestens zwei Monate lang jeden Tag ein bisschen Alkohol darüber. Eine Woche vor Weihnachten verteilte er so kunstvoll Marzipan und weißen Zuckerguss darauf, dass das Ganze an eine weiße Leinwand erinnerte.
    Tatsächlich durfte dann Hanny darauf malen. Sie tunkte ihre Pinsel in Lebensmittel- statt Aquarellfarbe und hauchte der weißen Glasur Leben ein wie sonst den Büchern. Jedes Jahr dachte sie sich etwas anderes aus, auch wenn ihre Motive natürlich um Weihnachten kreisten.
    Am Heiligen Abend waren sie dann immer zusammen in die Mitternachtsmesse gegangen, und wenn sie wieder nach Hause kamen, hatte Bastian stets diesen starken französischen Kaffee gemacht, wie er es von seiner starken französischen Großmutter gelernt hatte, und sie hatten gleichermaßen zögerlich wie ungeduldig den Kuchen angeschnitten.
    Im ersten Jahr hatte Hanny eine Krippe darauf gemalt, so detailreich und schön, dass Bastian es kaum übers Herz brachte, sie zu zerstören. »Das wäre ja so, als würde man einen Da Vinci zerschneiden!«, hatte er den Kuchen zu verteidigen versucht, als Hanny große Teller und ein großes Messer holte. Doch sie hatte sofort die Klinge angesetzt und das Stück mit den Heiligen Drei Königen und einem Strohballen gegessen. Um Bastian zu ärgern, wedelte sie noch kurz mit Balthasars Kopf vor ihm herum, bevor dieser in ihrem Schlund verschwand. Er hatte sich dafür gerächt, indem er den Esel aß.
    Im zweiten Jahr hatte sie eine Schneelandschaft gemalt, im dritten den Schlitten des Weihnachtsmanns in dunkler Nacht.
    Jedes Jahr hatten sie gemeinsam einen wunderschönen Kuchen produziert, das war ihre gemeinsame Tradition.
    Gewesen.
    Dieses Jahr hatte sie den Kuchen zusammen mit seinen Klamotten aus dem Fenster geworfen – und offenbar hatte er den Sturz auf wundersame Weise unbeschadet überstanden.
    Vielleicht bedeutete das, dass er steinhart war. Oder wie aus Gummi. Sie überlegte kurz, ihn noch einmal aus dem Fenster zu werfen, um zu sehen, ob er hüpfen würde wie der Hüpfball.
    Die Versuchung, ihn zu Boden zu schmettern, war groß, doch Bastian hatte ihn mit Zuckerguss überzogen, und sie brachte es nicht übers Herz, die weiße Jungfräulichkeit des Kuchens zu zerstören.
    Wie es aussah, war Bastian der Kuchen wieder einmal perfekt gelungen. Zu perfekt, als dass sie mehrfach mit einem scharfen Messer hineinstechen, rote Lebensmittelfarbe auf die Einstiche verteilen und den gesamten Kuchen mit daraus

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