Kannst du mir verzeihen
biss sich auf die Lippe. Ihr war ein Gedanke gekommen. Sie kratzte sich am Kopf, sah erst zu Jai und dann wieder zu Edith.
»Es sei denn ...«, fuhr sie fort und hielt dann wieder inne. Man sah förmlich, wie es in ihrem Kopf arbeitete. Ihr Blick huschte weiter und heftete sich dann auf Annie, die vor lauter Aufregung den Kühlschrank nach Alkohol durchsuchte und eine der Sektflaschen, die Bastian geschickt hatte, hervorholte.
»Es sei denn ...«, wiederholte sie mit deutlich festerer Stimme und fing zum Erstaunen aller an zu lächeln. »Wisst ihr was? Ich glaube, ich habe da eine Idee. Total verrückt, aber im Moment ist total verrückt vielleicht genau das, was wir brauchen ...«
Später sollte Jai erzählen, dass er in diesem Augenblick Zeuge der totalen Verwandlung seiner Freundin war.
Hanny übernahm das Kommando.
»Gut, Magnus, dann schalt mal den Backofen ein, bind dir eine Schürze um und hol eine Rührschüssel aus dem Schrank. Jai, du kümmerst dich um die Stereoanlage und suchst Gute-Laune-Musik. Oma, du stellst die Sektflasche sofort wieder in den Kühlschrank. Und Edith ...« Hanny verstummte, legte sich die Hand aufs Brustbein, um sich zu beruhigen, und atmete ganz langsam aus. »Edith«, wiederholte sie, »ich hätte nie geglaubt, dass ich das mal zu dir sagen würde. Aber gut: Du musst jetzt bitte noch jemanden entführen.«
Ediths manisches Grinsen kehrte zurück.
Darum musste man sie nicht zweimal bitten.
»Darf ich Gewalt anwenden?«
Da zuckten auch Hannys Mundwinkel wieder in Richtung Lächeln.
»So viel du willst.«
Doch als Ediths Grinsen noch manischer wurde, fügte sie schnell hinzu:
»Das war nur ein Scherz, Edith! Nur ein Scherz! Ganz sanft bitte! Samthandschuhe! Keine blauen Flecken!«
Oliver stieg gerade aus seinem Wagen aus, als sich jemand von hinten anschlich, ihm die Augen zuhielt und »Ãberraschung!« flüsterte.
Er lächelte.
Bis ihm einfiel, dass seine groÃartige neue Freundin Emma keine Hände wie ein Hafenarbeiter und auch keine Reibeisenstimme hatte.
Eine Stunde später war die Situation in der Garage noch surrealer: Emma an einen Stuhl gefesselt, Oliver an einen anderen. Zwischen ihnen ein Tisch, voll beladen mit Kuchen, Sekt, Gläsern und Konfettibomben, die Garage mit so viel Weihnachtsdeko geschmückt, wie sie lautlos hereinbringen und aufhängen konnten. Ballons, Lametta, Christbaumkugeln. Das Herzstück dieser eiligst einberufenen Secret Party bildete ein ebenso eilig von Hanny gemaltes Bild von Oliver und Emma in inniger Umarmung, überschrieben mit »Entschuldigung« und »Herzlichen Glückwunsch«.
Auf ein Zeichen von Hanny schaltete Jai die Musik an, und Edith und Annie entfernten den Gefangenen die Augenbinden. Hanny & Co. standen in Festkleidung und mit Geschenken und Sektgläsern in den Händen aufgereiht da, bemühten sich, unschuldig zu gucken, und riefen: »ÃBERRASCHUNG!!«
Der Augenblick war ein ziemlich heikler Moment, aber sie lieÃen die beiden schlicht und ergreifend nicht zu Wort kommen. Bevor die beiden ihrem Ãrger Luft machen konnten, betonten die anderen auch schon, wie sehr sie sich freuten, dass Oliver und Emma sich gefunden hatten, und natürlich entschuldigten sie sich für die halb kriminelle Art und Weise, auf die sie sie hierhergebracht hatten â das hätten sie nur getan, weil sie befürchteten, dass die beiden eine normale Einladung abgelehnt hätten. Und das, wo sie doch so gerne das Kriegsbeil begraben (auf diese Formulierung legte Hanny groÃen Wert) und von vorne anfangen wollten.
Annie verabreichte Emma sofort einen ziemlich steifen Drink, und Jai und Magnus schmierten ihr mit den passenden Komplimenten so extrem viel Honig ums Maul, wie es nur Schwule können. Es dauerte nicht lange, da fraà Emma ihnen quasi aus der Hand und glaubte wirklich, dass die beiden Herren sie für die schönste, interessanteste und wunderbarste Frau der Welt hielten.
Oliver nahm alles ganz gelassen. Raue Sitten war er von seinen Rugbykumpels gewöhnt, von daher überraschte es ihn nicht allzu sehr, zu einer Party entführt zu werden. Ihn überraschten einzig die Gastgeber. Aber letztlich war er blasiert genug, um Hannys Erklärung Glauben zu schenken, sie sei im Nachhinein so beeindruckt gewesen von seinem selbstlosen Besuch neulich und so entsetzt von ihrer
Weitere Kostenlose Bücher