Kanonenfutter
Perioden leichter Winde wechselten mit Flauten, in denen die Boote ausgesetzt wurden und das anstrengende Pullen des Schiffes begann.
Trinkwasser wurde immer knapper, und da keine Aussicht auf Regen oder baldige Landberührung bestand, wurde es rationiert. Nach einer weiteren Woche wurden die Rationen sogar auf einen knappen Liter pro Mann und Tag verringert.
Während seiner Tageswachen unter der brennenden Sonne sah Bolitho sehr wenig von Egmonts Frau. Er sagte sich, daß dies nur zu ihrem und auch seinem Besten sei. Es gab ohnedies Aufregungen genug: Ausbrüche von Ungehorsam, die von den Maaten mit Faustschlägen und Tritten oder dem Gebrauch des Tauendes unterdrückt wurden. Aber Dumaresq verzichtete auf Auspeitschungen, und Bo litho fragte sich nach dem Grund: War er nur darauf aus, möglichst Frieden zu wahren, oder geschah es der Passagiere wegen?
Auch Bulkley zeigte sich besorgt: Drei Mann waren mit Skorbut zusammengebrochen. Trotz seiner Vorsorge und der täglichen Ausgabe von Fruchtsaft hatte er es nicht verhindern können.
Einmal, als sich Bolitho im Schatten des großen Besansegels aufhielt, hatte er Dumaresqs Stimme durch das Skylight der Kajüte gehört. Er wies Bulkleys dringende Bitte zurück und beschuldigte ihn, keine besseren Vorsichtsmaßnahmen für seine kranken Matrosen getroffen zu haben.
Bulkley hatte offensichtlich die Seekarte studiert, denn er protestierte: »Warum laufen wir nicht Barbados an, Sir? Wir könnten draußen vor Bridgetown ankern und dafür sorgen, daß uns Trinkwasser gebracht wird. Was wir jetzt noch haben, ist voll ekligem Getier, und wenn Sie darauf bestehen, so weiterzusegeln, kann ich die Verantwo rtung für die Gesundheit der Männer nicht länger tragen.«
»Verflucht noch mal, Sir! Ich werde Ihnen sagen, wer hier Verantwortung trägt: ich! Und ich werde nicht nach Barbados segeln und vor aller Welt ausposaunen, was wir vorhaben. Halten Sie sich an Ihre Aufgabe, ich halte mich an meine!«
Damit war die Unterredung beendet.
Siebzehn Tage, nachdem sie sich von der Rosario getrennt hatten, fand der Wind sie wieder. Unter vollen Segeln – sogar die Leesegel wurden ausgebracht – kam die Destin y wieder so in Fahrt, wie es sich für das Vollschiff, das sie war, gehörte.
Aber vielleicht war es schon zu spät, um eine Explosion an Bord zu verhindern. Slade, der Steuermannsmaat, der immer noch spürte, daß Palliser ihn verachtete, und wußte, daß der Erste Offizier ihm bei jeder Aussicht auf Beförderung im Wege stehen, wenn nicht gar sie zunichte machen würde, beschimpfte Midshipman Merrett, weil er die Mittagsposition des Schiffes falsch berechnet hatte. Merrett hatte seine anfängliche Ängstlichkeit überwunden, aber er war erst zwölf Jahre alt; vor allen Leuten, die beiden Rudergänger eingeschlossen, derart heruntergeputzt zu werden, war zu viel für ihn. Er brach in Tränen aus.
Rhodes war wachhabender Offizier und hätte eingreifen können. Statt dessen blieb er auf der Luvseite des Achterdecks, den Hut gegen die Sonne schief auf dem Kopf und taub gegen Merretts Ausbruch. Bolitho beaufsichtigte unten am Großmast seine Toppsgasten, die einen neuen Block an der Obermarsrah einschoren. Er hörte das meiste mit an.
Stockdale neben ihm murmelte: »Es ist wie in einem überfüllten Wagen, Sir. Irgendwas muß passieren.«
Merrett ließ den Hut fallen und wischte sich die Augen mit dem Handrücken. Ein Matrose hob den Hut auf und gab ihn zurück, wobei er Slade einen wütenden Blick zuwarf.
Slade schrie ihn an: »Wie können Sie es wagen, sich in eine Angelegenheit zwischen Vorgesetzten einzumischen?«
Der Matrose, ein Mann der Wache auf dem Achterdeck, erwiderte heftig: »Ve rdammt, Mr. Slade, er tut sein Bestes. Es ist schon schlimm genug für die Älteren von uns, erst recht für ihn.«
Slade lief dunkelrot an und brüllte: »Wachtmeister! Nehmen Sie den Mann fest!« Er wandte sich an das gesamte Achterdeck: »Ich will ihn auf der Strafgräting sehen!«
Poynter und der Schiffskorporal ergriffen den beschuldigten Matrosen. Dieser zeigte keine Spur von Angst. »Wie bei Murray, wie? Ein guter und loyaler Kamerad, den wolltet ihr ebenfalls auspeitschen!«
Bolitho hörte ein Gemurmel der Zustimmung.
Rhodes raffte sich endlich aus seiner Teilnahmslosigkeit auf und rief: »Ruhe da! Was ist denn los?«
Slade sagte: »Dieser Mann forderte mich heraus und beschimpfte mich.« Gefährlich ruhig schaute er den Matrosen an, als wolle er ihn totschlagen.
Rhodes
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