Kanonenfutter
abermals von den Händen daran gehindert.
Bulkley machte sich noch einmal an dem Verband zu schaffen. »Ein Hieb mit dem Entermesser auf den Kopf ist kein Spaß. Ich habe getan, was ich konnte, alles übrige müssen wir der Zeit und guter Pflege überlassen. Es war ein Kampf auf Biegen und Brechen. Ohne Stockdales Mut und seine Entschlossenheit, Sie zu retten, wä ren Sie tot.« Er schaute sich um, ob der Kommandant gegangen war. »Stockdale sammelte die restlichen Seeleute um sich, die mit dem Boot flüchten wollten. Er war wie ein wilder Stier, aber als er Sie an Bord trug, machte er das so zart wie eine Frau.« Er seufzte. »Dies war wohl die kostspieligste Trinkwasserergänzung in der Geschichte der Seefahrt.«
Bolitho fühlte, wie ihn Schläfrigkeit überkam, die selbst den Schmerz in seinem Schädel verdrängte. Bulkley hatte ihm wohl etwas eingegeben.
Er flüsterte: »Sie würden es mir sagen, wenn…«
Bulkley wischte sich die Hände ab. »Sicherlich.« Er blickte auf und fügte hinzu: »Sie sind in guten Händen. Wir werden gleich ankerauf gehen, also bemühen Sie sich zu schlafen.«
Bolitho versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Gleich ankerauf gehen? Dann waren sie den ganzen Tag hier gewesen. Und sie mußten Wasser bekommen haben. Dafür waren Männer gefallen. Auch hinterher, als Colpoys Seesoldaten die erschlagenen Matrosen gerächt hatten, dachte er.
Er sprach sehr langsam, da er wußte, daß die Worte nur undeutlich aus seinem Mund kamen. »Sagen Sie Auro… Sagen Sie Mrs. Egmont, daß…«
Bulkley beugte sich über ihn und zog seine Augenlider hoch. »Sagen Sie es ihr doch selber. Sie ist bei Ihnen, seit Sie an Bord gebracht wurden. Ich sage doch: Sie sind in guten Händen.«
Bolitho begriff endlich, daß sie neben ihm stand. Ihr schwarzes Haar hing ihr über die Schultern und glänzte im Lampenlicht.
Sie berührte sein Gesicht und streichelte seine Lippen, als sie mit weicher Stimme sagte: »Sie können jetzt schlafen, Leutnant. Ich bin hier.«
Bolitho fühlte, daß die Hände nachgaben, die seine Handund Fußgelenke gehalten hatten, und schloß daraus, daß der Arzt und seine Helfer sich zurückziehen wollten.
Er flüsterte matt: »Ich… wollte nicht, daß Sie mich so sehen, Aurora.«
Sie lächelte und sah dabei doch unendlich traurig aus. »Sie sind schön«, sagte sie.
Bolitho schloß die Augen; seine Kräfte schienen ihn endgültig zu verlassen.
Bulkley drehte sich an der Tür noch einmal um. Er hatte eigentlich geglaubt, an Schmerz oder Freude am Krankenbett gewöhnt zu sein, doch er war es offenbar noch nicht. Denn was er hier sah, bewegte ihn. Es glich einer Allegorie zum Thema ›Die liebliche Frau beweint ihren gefallenen Helde n‹, dachte er. Er hatte Bolitho nicht belogen. Es war sehr knapp gewesen, denn das Entermesser hatte nicht nur eine tiefe Wunde über dem Auge in die Kopfhaut geschlagen, sondern auch die Schädeldecke darunter eingekerbt. Wäre Bolitho ein alter Mann gewesen oder das Enterme sser von einer geübten Hand geführt worden, hätte es das Ende bedeutet.
Aurora sagte: »Er ist eingeschlafen.« Aber sie sprach nicht zu Bulkley, sondern zu sich selbst. Sie nahm ihren weißen Schal ab und deckte ihn über Bolitho, als ob seine Nacktheit ebenso wie ihre Worte ihr ganz persönlicher Besitz wären.
In der anderen und wie gewohnt disziplinierten Welt der Destiny brüllte eine Stimme: »Anker ist los, Sir!«
Bulkley streckte eine Hand aus, um sich festzuhalten, als sich das Deck unter dem plötzlichen Druck von Wind und Ruder schräg legte.
Er wollte in sein Krankenrevier gehen und einige Drinks zu sich nehmen. Er hatte keine Lust, die Insel in der Dunkelheit zurückbleiben zu sehen. Sie hatte ihnen frisches Wasser gewährt, aber als Gegenleistung einige Menschenleben genommen. Bolithos Gruppe am Tümpel war bis auf Stockdale und zwei andere Leute niedergemetzelt worden. Colpoys hatte gemeldet, daß die Wilden, die sie überfallen hatten, ehemalige Sklaven waren, die wahrscheinlich beim Transport geflüchtet waren.
Als sie Bolitho und seine Männer kommen sahen, hatten sie sicher geglaubt, er wolle Jagd auf sie machen. Sobald die Boote der Destiny auf den Pistolenschuß und die plötzliche Panik der Kutterbesatzung hin ans Ufer kamen, waren die Sklaven auch auf sie losgegangen.
Colpoys hatte die Schwenkgeschütze und die Musketen auf sie gerichtet. Als der Pulverqualm sich verzogen hatte, war niemand mehr am Leben.
Bulkley machte auf der obersten Stufe des
Weitere Kostenlose Bücher