Kantaki 01 - Diamant
sich in ihm aus, doch unter dieser Schicht, die bewussten Gedanken vorbehalten blieb, brodelten Zorn, Enttäuschung und Verzweiflung. Auf eine derartige Weise zu sterben … Es erschien ihm absurd. Und dann wurde ihm klar, dass die Umstände des Todes eigentlich gar keine Rolle spielten – das Ende des Lebens, seines Lebens, war in jedem Fall absurd.
Ich will nicht sterben.
Eine der Schluchten nahm ihn auf.
Kaum zehn Meter von der Schluchtwand entfernt stürzte er in die Tiefe, den tosenden, schäumenden Wassermassen eines reißenden Stroms entgegen. Während Valdorian fiel, sah er seltsame knollenartige Objekte an der Felswand, wabenartig strukturiert, wie Dutzende von Metern durchmessende Wespennester.
Hier lebten keine Menschen, sondern die Kuakah, die Ureinwohner von Kabäa. Er versuchte, sich an sie zu erinnern, dachte dann daran, dass er dem Absurden eine weitere Absurdität hinzufügte. Angesichts des eigenen Todes kam der Frage, wer hier lebte, kaum Bedeutung zu.
Und dann riss ihn etwas aus der Luft, nicht weit über dem Donnern des Stroms, der zwischen den beiden Schluchtwänden zu kochen schien. Aus einem sanften Zerren wurde innerhalb von nur zwei oder drei Sekunden ein brutales Reißen – irgendetwas hielt ihn fest, nicht nur an einer Stelle, sondern an vielen. Der Kopf stieß an etwas Festes, so hart, dass das Visier splitterte. Regenwasser strömte ins Innere des Helms und füllte Valdorians Mund, als er nach Luft schnappen wollte.
Wie grotesk, dachte er. In der Luft zu ertrinken …
Irgendwo donnerte es, wie das Grollen eines Gewitters, unendlich in die Länge gezogen. Einen seltsamen Kontrast dazu bildete ein Geräusch in der Nähe, ein leises Knistern, wie von Seide oder sprödem Papier.
»Er zu sich, er zu sich«, zirpte eine wie verzerrt klingende Stimme.
»Du meinst, er kommt zu sich, Klipp«, sagte jemand, unverkennbar die Stimme eines Menschen.
Valdorian öffnete die Augen. Er lag auf einer weichen Unterlage, umgeben von Wärme und künstlichem Licht. Nicht weit entfernt summten Energiezellen, und die Decke, die er fast drei Meter über sich sah, bestand aus Stahlkeramik.
Ein Gesicht erschien in seinem Blickfeld: ein Mann, etwa fünfzig Standardjahre alt, das Gesicht hohlwangig, mit vortretenden Jochbeinen, die Nase ein wenig schief, große grüngraue Augen. Das Haar war fransig und offenbar schon seit einer ganzen Weile nicht mehr geschnitten worden.
»Sie können von Glück sagen, dass die Kuakah ihre Netze gespannt haben. Andernfalls wären Sie in den Flutstrom gefallen.«
Valdorians Kehle brannte. »Durst«, brachte er hervor. »Ich habe Durst.«
»Eigentlich erstaunlich, wenn man bedenkt, wie viel Regenwasser Sie geschluckt haben, während Sie draußen im Netz hingen.«
Das Gesicht verschwand aus Valdorians Blickfeld, und kurz darauf kehrte der Mann mit einer Brüterflasche zurück, deren Inhalt sich selbst erneuerte. Valdorian nahm sie entgegen, setzte sich auf und trank gierig, spürte dabei eine Schwäche in sich, die nicht allein auf die jüngsten Ereignisse zurückging. Er erinnerte sich an Dr. Moribunds Warnung, sich physischem Stress auszusetzen – dadurch konnte sich sein Zustand schnell verschlechtern. Aber blieb ihm eine Wahl?
»Sie scheinen einiges hinter sich zu haben«, sagte der Mann. »Wird dort oben noch immer gekämpft?«
Sein Zeigefinger deutete zur Stahlkeramikdecke hoch, aber Valdorian vermutete, dass er das All meinte. Er nickte. »Wer sind Sie?«
»Ich bin Fredrik, Kustode der Anomalie.«
»Anomalie?«
Dünne Falten bildeten sich in Fredriks Stirn. »Soll das heißen, Sie haben nichts davon gehört? Aus welcher entlegenen Ecke von Kabäa kommen Sie?«
»Ich …« Valdorian trank erneut, um einige Sekunden Zeit zu gewinnen; seine Gedanken rasten. »Ich stamme von Myrelion«, sagte er und nannte den Namen eines anderen Allianz-Planeten. »Meine Einheit wurde den hiesigen Truppen zugeteilt. Es hat uns im Orbit erwischt. Unser Schiff brach auseinander, und die meisten starben dabei.«
»Von Myrelion sind Sie? Nun, das erklärt Ihren sonderbaren Akzent. Die Anomalie ist ein Überbleibsel des Zeitkriegs, vielleicht das einzige noch existierende temporale Labyrinth. Die Kantaki haben uns versprochen, es so bald wie möglich in die normale Raum-Zeit zu reintegrieren. Bis das geschieht, bleibe ich Kustode der Anomalie, im Auftrag der Regierung von Kabäa«, fügte Fredrik mit dem Stolz eines Subalternen hinzu, der es »bis nach oben« geschafft
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