Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
Vom Netzwerk:
uns dort Platz nehmen.«
    Sie kletterten über einige Felsen hinweg, setzten sich auf einen flachen, grauweißen Block und ließen die Beine über seinen Rand baumeln. Zwei Meter unter ihnen platschten kleine Wellen ans steinige Ufer.
    Der obere Rand der Sonne Mirlur zeigte sich am fernen Horizont, vom Dunst halb verschleiert.
    »Warum bist du nie wieder geflogen?«, fragte Lidia und begriff, dass es ihr eigentlich nur darum ging, das Thema zu wechseln.
    »Bei manchen Piloten ist die Gabe stark und konstant, so wie bei dir. Bei anderen ist sie schwächer und unterliegt Veränderungen. Manchmal verschwindet sie ganz.«
    »Hast du deine Gabe verloren?«, fragte Lidia. Interesse und Anteilnahme erwachten in ihr.
    »Nein.« Rita lächelte sanft, zog die Beine an und schlang die Arme darum. Sie sah übers Meer hinweg zur aufgehenden Sonne. Einige Boote schaukelten auf den Wellen, und ihre weißen Rümpfe reflektierten den Sonnenschein. »Aber sie ist schwächer geworden, schon vor vielen Jahren, und es erfüllt mich nicht mehr mit der gleichen Zufriedenheit, ein Kantaki-Schiff zu fliegen. Dies ist meine Welt.« Sie breitete die Arme aus, als wollte sie Tintiran umarmen. »Hier fühle ich mich wohl.«
    Lidia dachte an die vielen Dinge, die sie in den letzten sechsundzwanzig Jahren gesehen hatte, und es gab noch so viel mehr zu entdecken und zu erfahren. »Fehlt dir nicht die … Weite?«
    »Nein. Beim letzten Flug hatte ich das Gefühl, im Pilotendom fehl am Platz zu sein. Ich gewann den Eindruck, mich selbst zu verlieren, und da wusste ich, dass es Zeit für mich wurde, hierher zurückzukehren. Seitdem habe ich Tintiran nicht mehr verlassen.«
    Lidia musterte die Frau an ihrer Seite, betrachtete das zarte Muster der Falten in ihrem Gesicht und sah es plötzlich mit anderen Augen. »Hier bist du Teil des gewöhnlichen Zeitstroms. Du hast dich für ein kurzes Leben entschieden.«
    »Ja, das stimmt«, bestätigte Rita ruhig. Ihr Blick reichte erneut übers Meer, und ein Lächeln begleitete ihn. »Jede Entscheidung hat ihren Preis, wie du sehr wohl weißt. Man bekommt nie etwas umsonst. Ein langes Leben ist nicht alles. Die Frage lautet: Womit füllt man es? Was stellt man damit an?«
    Lidia nickte und verstand, was Rita meinte. Sie erinnerte sich daran, mit Valdorian darüber gesprochen zu haben, mit einem jungen Mann, für den Macht und Reichtum selbstverständlich gewesen waren und der nicht begriffen hatte, was sie in Worte zu kleiden versuchte.
    »Hier fühle ich mich wohl«, betonte Rita noch einmal. »Ich ruhe in mir selbst und bin zufrieden. Ich werde nie wieder fliegen, und glaub mir: Deshalb fehlt mir nichts.«
    Lidia sah zum Himmel hoch, zu einigen wenigen Wolken, die weit oben dahinzogen. Jenseits davon erstreckte sich die Unendlichkeit, und sie hörte selbst jetzt ihren Ruf, während sie hier auf einem Felsen am Scharlachroten Meer saß. Auch sie hatte einen Preis bezahlt, aber sie glaubte nach wie vor, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
    »Für mich ist es unvorstellbar, nicht mehr im All unterwegs zu sein«, sagte Lidia. »Je mehr Planeten ich besuche, desto kleiner werden diese Welten für mich.«
    »Das habe ich auch von anderen Piloten gehört.«
    »Auf einem Planeten zu bleiben, selbst auf dem schönsten von allen … Ich würde mich beengt fühlen, wie in einem Käfig gefangen.« Diese Worte berührten etwas in Lidia, etwas, das seit einigen Monaten wuchs, ihr bisher aber noch nicht bewusst geworden war. »Rita … Ich muss fort. Ich möchte wieder ein Kantaki-Schiff fliegen.«
    Rita maß sie mit einem nachdenklichen Blick und schwieg zunächst. Lidia fragte sich, was sie sah.
    »Manchmal glaube ich, dass du vor etwas fliehst«, sagte Rita schließlich. »An deiner starken Gabe besteht kein Zweifel – ich sehe ganz deutlich ihr Licht –, und dein Wunsch, ein Kantaki-Schiff zu fliegen, ist durchaus verständlich. Du findest Erfüllung darin. Und doch …« Rita überlegte. »Mutter Krir hatte bestimmt einen guten Grund dafür, dich hierher zu schicken, meinst du nicht? Vielleicht sah sie in dir etwas, das du selbst nicht sehen kannst.«
    »Sie meinte, dass ich einen Partner brauche, jemand, der mich im All begleitet.«
    Rita nickte. »Ganz meine Meinung. Im Pilotendom eines Kantaki-Schiffes dürfte die Wahrscheinlichkeit, anderen Menschen zu begegnen, eher gering sein. Daher riet dir Mutter Krir, in der Sakralen Pagode zu lehren. Der Aufenthalt in Bellavista sollte dir Gelegenheit geben,

Weitere Kostenlose Bücher