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Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Lidia, und ihr Atem kondensierte in der kalten Luft. Das vergaßen manche Piloten, wenn sie zu lange unterwegs waren. Auch wenn sie außerhalb des Zeitstroms standen: Die Zeit blieb in Bewegung. Und die Dinge veränderten sich. Nichts blieb auf Dauer gleich. Selbst wenn man bei der Rückkehr in die Welt der normalen Zeit glaubte, eine vertraute Umgebung anzutreffen: Es lebten andere Personen in ihr. Freunde und Verwandte starben, und wenn man neue Freunde fand, so musste man nach einigen Jahrzehnten auch von ihnen Abschied nehmen. Je länger Kantaki-Piloten im Transraum unterwegs waren, desto mehr füllte sich das Universum des gewöhnlichen Zeitstroms mit Fremden.
    »Wie bitte?«, fragte die Frau, die an Lidias Seite ging. »Haben Sie etwas gesagt?«
    Lidia drehte den Kopf und musterte die Fremde. Sie stammte aus Fernandez, hatte aber ungewöhnlich helle Haut und schulterlanges blondes Haar. Wie hieß sie noch? Es erstaunte Lidia, dass etwas in ihr bereit gewesen war, den Namen der Frau nach nur wenigen Minuten zu vergessen. Penelope Dalla Torre. Jung, etwa dreißig. Aber ich sehe jünger aus als sie, dachte Lidia. Obwohl ich inzwischen einundfünfzig bin.
    »Schon gut«, sagte sie. »Ich habe an das alte Bootshaus gedacht.«
    »Wir haben es vor acht Jahren durch das neue Gebäude ersetzt«, erklärte Penelope, und ihre Stimme klang dabei fast entschuldigend. »Den kleinen Friedhof haben wir natürlich nicht angerührt«, fügte sie hastig hinzu.
    Schnee bedeckte auch den eingezäunten Bereich in der Nähe jenes hohen Felsens, von dem einst Aida in den Tod gestürzt war. Nicht zwei Grabsteine ragten aus dem Weiß, sondern drei. Neben Lidias Schwester und ihrem Vater hatte man nun auch ihre Mutter hier zur letzten Ruhe gebettet. Carmellina Diaz war vor fast zehn Jahren gestorben und auf ihren Wunsch an dieser Stelle beigesetzt worden.
    »Ich habe nie eine Nachricht bekommen«, sagte Lidia leise.
    »Vielleicht wurde nie eine geschickt«, spekulierte Penelope. In ihrem Gesicht zeigte sich noch immer eine Mischung aus Unbehagen und Betroffenheit. »Es tut mir Leid.«
    »Es ist nicht Ihre Schuld.« Lidia blickte auf die drei Gräber hinab und erinnerte sich an Mutter Krirs Worte über den Tod. Möglicherweise verbarg sich tatsächlich Trost in ihnen. Einige Minuten lang schwieg sie und nahm stumm Abschied von ihrer Mutter. Dann drehte sie sich um und kehrte zurück zum Hauptweg, der am See entlang und zum Haus am Hang führte. Es hatte sich verändert, durch eine Erweiterung an der Seite und einen neuen Anstrich, aber die Veränderung ging tiefer, betraf nicht nur die Bausubstanz, sondern die Atmosphäre, die Aura des Hauses. Es war jetzt das Heim einer anderen Familie, und dadurch wurde es fremd.
    Kinderstimmen kamen von oben, als die beiden Frauen langsam über den Weg gingen.
    »Natürlich werden wir die Gräber auch weiterhin pflegen«, sagte Penelope. Sie schien das Schweigen als Belastung zu empfinden.
    Lidia wäre lieber mit sich und ihren Gedanken allein gewesen. »Danke.« Sie seufzte innerlich. »Fühlen Sie sich wohl hier?«
    »Es ist ein wenig einsam, aber das hat auch seine Vorteile.« Penelope rang sich ein Lächeln ab.
    Lidia sah das Fenster des Zimmers, in dem sie während ihrer Kindheit und Jugend gelebt hatte. Für einige Sekunden zeigte sich dort ein Mädchengesicht, verschwand dann wieder. Penelope bemerkte ihren Blick.
    »Das war Alicia, meine Tochter.«
    Das etwa acht Jahre alte Mädchen erschien kurz darauf in der Tür, kam zögernd nach draußen und wahrte einen respektvollen Abstand. Es hatte das blonde Haar und die braunen Augen ihrer Mutter. Ein Junge folgte dem Mädchen, einige Jahr älter als seine Schwester, aber immer noch ein Kind. Voller Stolz präsentierte er das etwa zwanzig Zentimeter durchmessende Modell eines Kantaki-Schiffes, ließ es mithilfe einer Fernsteuerung auf einem Levitationskissen emporsteigen und umherfliegen. Schließlich landete es weich im Schnee, und der Junge kam näher, lächelte strahlend.
    »Sind Sie wirklich eine Kantaki-Pilotin?«, fragte er mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Neugier, sah dabei auf die fünf Kantaki-Symbole am Kragen von Lidias Mantel.
    Sie erwiderte sein Lächeln. »Ja.«
    »Eines Tages fliege ich ebenfalls ein Kantaki-Schiff«, sagte der Junge. »Wie das dort, aber natürlich viel größer.«
    »Wie heißt du?«
    »Leo.«
    Lidia erstarrte innerlich. Erinnerungsbilder huschten an ihrem inneren Auge vorbei: auf Floyds Welt, die Visionen von

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