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Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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grelle Farben zeigten. Lidia sah diesen Kantaki zum ersten Mal, glaubte aber, ein jugendliches Flair bei ihm zu erkennen. Das Wesen vor ihr war nicht annähernd so alt wie Mutter Krir.
    Sie verneigte sich respektvoll.
    Der Kantaki senkte den dreieckigen Kopf mit den beiden multiplen Augen, streckte eine der vorderen Gliedmaßen, berührte Lidia am Arm und … zwickte sie.
    »Au!«, entfuhr es der Pilotin.
    Das Klicken des Kantaki klang nach einem Lachen.
    Lidia schnappte verblüfft nach Luft. »Grar? Bist du das? Ich meine … sind Sie das?«
    Der Kantaki klickte. »Endlich sehen wir uns wieder, Diamant!«, kam es aus dem Lautsprecher von Lidias Linguator.
    Grar streckte mehrere Gliedmaßen aus, schlang sie um Lidia und drückte sie vorsichtig an sich – er ahmte eine menschliche Umarmung nach. Dann klickte er erneut.
    »Ich brauche eine Pilotin für mein Schiff«, sagte er. »Wärst du bereit, für mich zu navigieren?«
    Für Lidia kamen diese Worte einem Wink des Schicksals gleich. Die Begegnung mit Mutter Krirs Sohn zeigte ihr, welche Richtung es einzuschlagen galt. Bitte verzeih mir, Rita, dachte sie. »Natürlich«, erwiderte sie voller Freude. »Wann brechen wir auf?«
    »Wie wär’s mit sofort?« Und wieder ertönte das klickende Lachen.
     
     

22
Orinja
1. April 421 SN ·  linear
     
    Valdorian blickte in den pseudorealen Spiegel und sah eine Leiche. Das von Kraftfeldern kanalisierte Wasser einer Dusche strömte auf sie herab.
    Der Mann war ihm fremd, bleich und abgezehrt, die faltigen Wangen eingefallen, die grauen Augen trüb und wässrig. Am dürren, nackten Leib zeichneten sich die Knochen unter schlaffer, halb durchsichtiger Haut ab. Die Verfärbungen an einigen Stellen wirkten wie Leichenflecken. Langsam drehte sich die Gestalt im dreidimensionalen Projektionsfeld des Hygieneraums, wiederholte dabei Valdorians Bewegungen.
    »Das soll ich sein?«, brachte er hervor, und die Lippen des leichenhaften Mannes bewegten sich synchron. Er schien um mindestens hundert Jahre gealtert zu sein, und eine seltsame, desorientierende Lücke klaffte zwischen dem inneren Bild von sich und dem tatsächlichen äußeren Erscheinungsbild.
    Valdorian deaktivierte den pseudorealen Spiegel, ließ sich von warmer Luft trocknen und streifte Kleidung über, eine einfache Kombination aus Hose, Hemd und Jacke. Auf der Ablage lagen sein Identer, den er von Jonathan zurückerhalten hatte, sowie die Schatulle mit dem Diamanten und der Amplifikator. Er zögerte kurz, bevor er die Schatulle öffnete, den Kristall zur Hand nahm und ihn betrachtete im Schein des kleinen Lichts, das ihn umkreiste. Über viele Jahre hinweg hatte er überhaupt nicht mehr an ihn gedacht, nachdem das Band zwischen den beiden Zwillingskristallen so dünn und schwach geworden war, dass er selbst mit dem Amplifikator nichts mehr empfing. Den letzten Versuch, Lidia zu beeinflussen, hatte er kurz vor seiner Heirat mit Madeleine unternommen, ebenso erfolglos wie die anderen. Doch während der letzten Wochen war ihm der Diamant wieder sehr wichtig geworden, vielleicht auch deshalb, weil er ein Symbol darstellte, einen Fokus seiner Hoffnung. Er steckte ihn ein, zusammen mit Identer und Amplifikator …
     
    Wieder änderten Zeitquanten ihre Struktur, was eine neue Fluktuation bei den Ereignistendenzen bewirkte. Im Null beobachtete Agorax und spürte, dass erneut ein entscheidender Moment näher rückte. Das Echo von Kabäa vibrierte sanft und subtil durch die Wahrscheinlichkeiten, so leise, dass es die Zeitwächter auf Munghar nicht hörten.
     
     … und verließ den Hygieneraum. Reginald Connor wartete in der Bibliothek auf Valdorian. Er stand an einem der ovalen Fenster, die Ausblick gewährten auf die stählerne Schlange der Minenstadt, von der aus die Metallseen von Orinja angezapft wurden. Er drehte sich um, als er das leise Summen hörte, mit dem sich die Tür des Hygieneraums öffnete und schloss.
    Valdorian schritt langsam durch die Bibliothek. Vor nur drei Monaten war er von hier aus aufgebrochen, um Lidia zu suchen, doch er hatte das Gefühl, dass Jahre vergangen waren, vielleicht sogar Jahrzehnte. Sein Blick glitt über die vielen Kunstgegenstände, mit denen ein anderer Valdorian – der Primus inter Pares des Konsortiums – den großen Raum ausgestattet hatte. Sie bedeuteten ihm nichts mehr. Was er auch sah – Regale aus Edelholz zwischen Statuen, Nischen, ebenso wie die Regale mit Büchern gefüllt, Gemälde und Skulpturen, Xurr-Artefakte –,

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