Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
Vom Netzwerk:
einem anderen Kosmos des Plurials, im dem sie einen Sohn und eine Tochter hatte. Leonard und Francy. Sie hatte sie auch durch die Pluriallinse auf – beziehungsweise in – Munghar gesehen.
    »Fühlen Sie sich nicht wohl?«, fragte Penelope besorgt.
    Lidia blinzelte, und für einen Augenblick hatte sie das sonderbare Gefühl, dass tausend Jahre vergangen waren. Alicia stand noch immer dicht vor der Tür, voller Respekt, und Leo – dieser andere Leo – sah verwundert zu ihr auf.
    »Es ist … alles in Ordnung«, sagte sie und fröstelte plötzlich. Die Sonne war längst hinter den Bergen versunken; verblassendes Licht und Kälte kündigten die Nacht an. »Ich habe einmal einen anderen Jungen wie dich gekannt. Er hieß Leonard, und als ich deinen Namen hörte …«
    »Ich werde Kantaki-Pilot, wenn ich groß bin«, betonte Leo noch einmal, betätigte die Kontrollen seiner Fernbedienung und startete das kleine Kantaki-Schiff wieder.
    »Geht ins Haus«, forderte Penelope ihre Kinder auf. »Es ist kalt.«
    Alicia kam der Aufforderung sofort nach, und Leo folgte ihr widerstrebend. In der Tür verharrte er kurz und winkte. Lidia erwiderte den Gruß, und darauf verschwand der Junge im Inneren des Hauses.
    Kurz darauf erschienen Bruder und Schwester an einem Fenster im Erdgeschoss.
    Penelopes Gesicht zeigte Verstehen, obwohl sie gar nicht verstehen konnte. Sie vermutete etwas, vielleicht eine Tragödie, einen Unglücksfall, und deshalb begegnete sie der Besucherin mit zusätzlicher Anteilnahme.
    »Bitte bleiben Sie zum Essen«, sagte die blonde junge Frau. »Mein Mann kehrt bald heim, und wir könnten über diesen Ort sprechen, über das Haus, das einmal Ihrer Familie gehörte. Sie könnten bei uns übernachten. Platz gibt es genug.«
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber nein, danke.« Lidia ging zum Levitatorwagen, mit dem sie vor dem Haus gelandet war. »Ich kehre jetzt besser nach Fernandez zurück.« Sie stieg ein, doch bevor sie die Luke schließen konnten, trat Penelope näher.
    »Wir kümmern uns um die drei Gräber, das verspreche ich Ihnen.«
    »Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar. Bitte grüßen Sie Ihren Mann von mir. Und umarmen Sie Ihre Kinder für mich.« Lidia klappte die Luke zu, startete das Triebwerk und flog los. Der zugefrorene See, das Haus und Penelope Dalla Torre, die einen letzten Gruß winkte, blieben rasch hinter ihr zurück. Es fühlte sich wie eine Flucht an.
     
Tintiran ·  5. September 327 SN ·  linear
     
    Die beiden Frauen wanderten über den Strand von Bellavista. Eine von ihnen hatte langes feuerrotes Haar, und hier und dort zeigten sich dünne Falten in ihrem Gesicht. Das Haar der anderen war schwarz und lockig, reichte bis auf die Schulten. Grünblaue Augen glänzten in ihrem glatten Gesicht. Die erste Frau schien etwa sechzig zu sein, die zweite wirkte weniger als halb so alt, obwohl sie inzwischen einundfünfzig war.
    »Ich liebe diese frühe Stunde«, sagte Rita, während sanfter Wind mit ihrem roten Haar spielte. »Ich komme oft hierher, wenn die Stadt noch schläft. Dann habe ich das Gefühl, den Strand und das Meer ganz für mich allein zu haben.«
    Tatsächlich waren sie praktisch allein auf dem breiten Sandstrand. Es gab nur wenige andere frühe Wanderer, die den Sonnenaufgang beobachteten, und sie alle schienen mit sich und dem Scharlachroten Meer allein sein zu wollen. Lidia blickte zurück zur Stadt in der Bucht. Nur wenige Fahrzeuge bewegten sich dort, weit genug entfernt, um das Rauschen der Wellen nicht durch das Brummen von Levitatoren zu stören. Ihr Blick glitt über die Hänge der Hügel, auf der Suche nach einem ganz bestimmten Gebäude. Irgendwo dort oben befand sich die Valdorian-Villa.
    »Vermisst du ihn?«, fragte Rita. Sie hatte die subtile Veränderung in Lidias Gesicht bemerkt.
    In den vergangenen Monaten war das Band der Freundschaft zwischen ihnen immer fester geworden, und sie hatten längst die Distanz des Sie aufgegeben – Kantaki-Piloten duzten sich. Vor fast drei Jahrzehnten hatte die Betreuerin Rita der Schülerin Lidia dabei geholfen, Kantaki-Pilotin zu werden.
    »Sechsundzwanzig Jahre sind vergangen«, sagte Lidia. »Man sollte meinen, dass so viel Zeit genügt, um über gewisse Dinge hinwegzukommen.« Sie erinnerte sich daran, Rita von Valdorian erzählt zu haben, bei einem ihrer langen Gespräche.
    »Manche Dinge haben so tiefe Wurzeln in uns, dass sie uns immer begleiten, wohin wir auch gehen und wie lang der Weg auch sein mag. Komm, lass

Weitere Kostenlose Bücher