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Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Jahren feststellten, den falschen Lebensweg gewählt zu haben?
    »Jeder muss für sich selbst wählen«, murmelte Lidia und erinnerte sich: Auch diese Worte stammten von Floyd, der ihr immer klüger und weiser erschien, je mehr sie über ihn und die Zeit mit ihm nachdachte. »Du hättest deine Gedanken aufschreiben sollen«, setzte sie den leisen Monolog fort, während ihr Blick noch immer dem Pseudofenster galt. »Vielleicht wärst du so berühmt geworden wie Horan.«
    Die bestellte Tasse Tee stand auf dem kleinen Beistelltisch – Lidia hatte gar nicht bemerkt, dass der Kellner das Getränk gebracht hatte.
    Sie trank einen Schluck, und als sie den Blick von der Tasse hob, fiel ihr eine Gruppe auf, die sich in einer Ecke des Aufenthaltsraums gebildet hatte. Zehn oder mehr Piloten und Schüler umringten eine junge Frau, die fast wie ein Mädchen aussah. Sie hatte glattes blondes Haar, das ihr gerade bis auf die Schulter reichte, war nicht mager, aber schlank. Ihre Brüste kamen unter der beigefarbenen Hemdjacke kaum zur Geltung, und die Beine steckten in einer braunen Hose. Die Kleidung wies Kantaki-Symbole auf, aber sie wirkten irgendwie unauffällig, passten damit gut zu dem Gesamteindruck, den die junge Frau vermittelte. Sie wirkte wie eine Person, die keine große Aufmerksamkeit erregen wollte, weil sie es nicht nötig hatte. Sie leistete sich Bescheidenheit und Zurückhaltung, weil sie wusste, dass sie jederzeit im Mittelpunkt stehen konnte, wann immer das ihrem Wunsch entsprach. Einer der anderen Piloten sprach sie mit Namen an, und daraufhin begriff Lidia, weshalb man ihr so großes Interesse entgegenbrachte. Es handelte sich um die legendäre Esmeralda.
    Lidia spürte die Aufregung der Zuhörer, die an Esmeraldas Lippen hingen, als sie mit ruhiger Stimme sprach, gelegentlich einen Schluck vom berühmten goldenen Wein Aronnàhs trank. Kaum hatte sie die Frage eines Piloten beantwortet, beugte sich ein Schüler vor. »Stimmt es, dass Sie ein so genanntes Sprungbrett der Kantaki im intergalaktischen Leerraum zwischen der Milchstraße und Andromeda besucht haben, fast eine Million Lichtjahre entfernt?«
    Lidia beobachtete die Gruppe und horchte auf, als sie erfuhr, dass auch Esmeralda ohne einen Partner war. Seit Jahrhunderten flog sie Kantaki-Schiffe ohne die Gesellschaft eines Konfidenten durch den Transraum. Lidias Interesse erwachte. Nach kurzem Zögern nahm sie die Tasse und trat zur Gruppe.
    »Entschuldigt bitte«, sagte sie, als die anderen Piloten ihre Gespräche unterbrachen und neugierig zu ihr aufsahen. »Ich bin Diamant, seit neunundsiebzig Jahren Pilotin in den Diensten der Kantaki.«
    »Diamant …«, wiederholte jemand. »Du hast Mutter Krirs Schiff geflogen, nicht wahr?«
    »Ja.«
    Dieser Hinweis veranlasste die anderen Piloten zu respektvollem Nicken.
    »Sie war eine der Großen Fünf«, murmelte jemand.
    Lidia sah die mädchenhafte Esmeralda an. »Auch ich habe nie einen Partner gewählt.«
    Esmeralda stand auf, lächelte und reichte Lidia die Hand. »Freut mich, dich kennen zu lernen, Diamant.«
    »Die Freude ist ganz meinerseits«, erwiderte Lidia und ergriff die dargebotene Hand. Der physische Kontakt ließ etwas in ihr prickeln, und erstaunt blickte sie in Esmeraldas blaue Augen. Sie passten nicht zur Gestalt eines Mädchens, das gerade erst zur Frau geworden war. Es waren die Augen eines uralten Individuums, eines Intellekts, der über Jahrhunderte hinweg nicht nur Wissen gesammelt, sondern auch sortiert, analysiert und verarbeitet hatte. Für einen Moment gewann Lidia den Eindruck, einem Datenservo gegenüberzustehen, der auf die Informationen einer enorm großen Datenbank zugreifen konnte, aber sofort begriff sie die Absurdität eines solchen Vergleichs. Dies war ein Mensch, keine Maschine, aber es handelte sich um einen Menschen, der die Ewigkeit nicht nur berührt hatte, sondern zu einem Teil von ihr geworden war.
    Esmeraldas Lächeln hingegen wirkte so mädchenhaft wie ihr allgemeines Erscheinungsbild. »Warum sollten sich Frauen wie wir binden?«, fragte sie. Und an die Adresse ihrer Bewunderer gerichtet fügte sie hinzu: »Seht uns an. Wir sind jung. Wir haben unser ganzes Leben noch vor uns.«
    Die Piloten und Schüler lachten. Esmeraldas Lächeln wuchs ein wenig in die Breite, wurde aber gleichzeitig subtiler und hintergründiger. Sie setzte sich und forderte Lidia mit einer knappen Geste auf, ebenfalls Platz zu nehmen.
    Lidia lehnte sich zurück, beobachtete und hörte zu,

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