Kantaki 01 - Diamant
Stimmen und anderen Geräuschen. Viele Touristen waren in den schmalen Passagen unterwegs, sahen sich das Angebot der Geschäfte und Buden an, bewunderten exotische Waren aller Art und feilschten mit den Verkäufern. Ähnliche Szenen gab es auf vielen von Menschen bewohnten Welten, insbesondere in der Nähe von Raumhäfen, und Lidia wusste, dass dies die »normale« Welt war, mitten im Zeitstrom. Aber nach fast achtzig Jahren war ihr dieser Kosmos, in dem sie wie alle anderen alterte, fremd geworden. Ihm fehlte der Hauch von Erhabenheit, der alles umgab, was die Kantaki betraf, und außerdem erging es Lidia inzwischen wie vielen anderen Piloten: Es bereitete ihr Unbehagen, sich im Zeitstrom zu bewegen, denn hier tickte die Uhr des Lebens um ein Vielfaches schneller. Bei den Kantaki hingegen, am Ufer des Zeitstroms, kam jene Uhr fast ganz zum Stillstand. Lidia fühlte sich durch eine unsichtbare Barriere getrennt von den Leuten, die hier bunte Stoffe bewunderten, Früchte aus dem endlosen Wald von Aronnàh probierten und Schmuck kauften, und das verstärkte ihr Gefühl der Einsamkeit. Tief in Gedanken versunken achtete sie kaum auf die respektvollen Blicke der Erwachsenen, die die Kantaki-Symbole an ihrer Kleidung bemerkten, oder die Halbwüchsigen, die im Vorbeigehen so unauffällig wie möglich versuchten, ihre Jacke zu berühren, wenn auch nur mit der Fingerspitze. Hier und dort hieß es, der Kontakt mit einem Kantaki-Piloten brächte Glück und ein langes Leben.
Als sie ihre Aufmerksamkeit schließlich von innen nach außen kehrte, stellte sie fest, dass ihre Beine von ganz allein ein Ziel gewählt hatten. Sie stand am Rand eines mittelgroßen Platzes, unter einigen Bäumen, die angenehmen Schatten spendeten, und auf der gegenüberliegenden Seite sah sie eine Sakrale Pagode, dunkel, auf beiden Seiten von weißen Gebäuden gesäumt. Das Portal lockte, schien sie zu rufen, und Lidia zögerte nicht, überquerte den Platz und trat ein. Leichte dimensionale Verzerrungen teilten ihr mit, dass sie zum Rand des Zeitstroms zurückkehrte, obwohl sie sich nicht an Bord eines Raumschiffs befand, das durch den Transraum flog – dieses Gebäude war integraler Bestandteil des Kantaki-Universums. Sie seufzte leise; es fühlte sich nach einer Heimkehr an.
Sie schritt durch einen kurzen Flur und erreichte ein kleines, schlicht eingerichtetes Kommunikationszentrum. Auf der anderen Seite des Tresens, den einige bunte Zierpflanzen schmückten, saß ein Akuhaschi am Datenservo. Er erkannte Lidia als Kantaki-Pilotin, stand auf und deutete eine respektvolle Verbeugung an. »Kann ich zu Diensten sein?«, fragte er mit tiefer, kehliger Stimme, ohne einen Linguator zu benutzen. Das matte Licht spiegelte sich in seinen dunklen vertikalen Augenschlitzen.
Lidia trat zum Tresen. »Sind irgendwelche Nachrichten für mich eingetroffen?«, fragte sie und reichte dem Akuhaschi ihre K-Karte.
Ein Abtaster nahm die Karte auf, und Lidia beobachtete, wie sich die Anzeige des großen Displays veränderte. Der Akuhaschi schüttelte den Kopf – eine Geste, die er den Menschen abgeschaut hatte. »Es sind keine Mitteilungen für Sie gespeichert, Diamant«, sagte er und gab die Karte zurück.
Lidia nahm sie entgegen und war enttäuscht, obwohl sie wusste, dass es keinen Grund dafür gab. Ihre Eltern waren seit vielen Jahren tot, und es gab keine anderen Familienangehörigen. Wer hätte ihr eine Nachricht schicken sollen? Valdorian? Er hatte ihr Mitteilungen geschickt, während der ersten Jahre, aber schon seit vielen Jahren ließ er nichts mehr von sich hören. Lidia träumte auch nicht mehr von ihm, seit mehr als zehn Jahren nicht, und das war eine große Erleichterung für sie. Trotzdem hinderte sie irgendetwas daran, ein inneres Gleichgewicht zu finden.
»Haben Sie sonst noch einen Wunsch?«, fragte der Akuhaschi.
Lidia hob den Kopf und blinzelte verwundert, als sie begriff, dass sie einfach nur wortlos dagestanden hatte. »Nein«, sagte sie und steckte die K-Karte ein. »Das ist alles. Danke.«
Der Akuhaschi verneigte sich erneut, als Lidia am Tresen vorbeiging und das kleine Kommunikationszentrum durch die zweite Tür verließ. Ein halbdunkler Korridor nahm sie auf, und sie setzte den Weg durch die Pagode fort, die im Inneren mehr Platz aufwies, als die äußeren Maße erkennen ließen. An Phänomene dieser Art war Lidia längst gewöhnt.
Sie wusste, dass sie mitten in einer emotionalen Krise steckte, und einer der Gründe dafür war
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