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Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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unveränderlicher Gigant, der doch in einem ständigen Wandel begriffen war.
    Im Mausoleum erwartete ihn angenehme Kühle und eine Stille mit historischer Tiefe. Valdorian wusste, dass ihn verborgene Sensoren beobachteten und sondierten, aber er fühlte sich völlig allein, getrennt vom Rest Tintirans und dem ganzen Universum. Mit langsamen Schritten näherte er sich dem Obelisken in der Mitte des Mausoleums, dem Symbol des Begrenzten Seins. Er bestand aus weißem Marmor, wie auch die Säulen am Weg und die Außenmauern des Mausoleums, geschaffen von einem Bildhauer vor fast fünfhundert Jahren, noch während der Epoche des Chaos nach dem Zeitkrieg. Der erste Valdorian hatte den Obelisken in Auftrag gegeben, um ein Zeichen des Nichtglaubens zu setzen, wie um den Atheismus in den Rang einer Religion zu erheben. Das Begrenzte Sein, das Wissen um die verstreichende Zeit und die Vergänglichkeit, auch und vor allem der eigenen Existenz. Die Symbole im Obelisken betonten die Bedeutung des Lebens im Vergleich mit dem Nichts, das der Tod brachte.
    »Aber wenn das Leben nur ein Traum ist …«, flüsterte Valdorian, während er mit den Fingerkuppen über die Zeichen strich. »Kommt dann mit dem Tod das Erwachen?«
    Es blieb still. Wenn die Toten eine Antwort wussten, so gaben sie sie nicht preis.
    In den Ecken des Raums glühte das – keineswegs sakrale, sondern nukleare – Licht ewiger Kerzen und warf seinen Schein auf Wandmalereien. Sie sollten dem Hauptraum des Mausoleums etwas Kathedralenartiges geben, aber Valdorian fand sie fast kitschig. Szenen des Lebens, die das Leben selbst betonten, das Diesseits dem Nichts gegenüberstellten, das mit dem Tod kam. Quasireligiöse Bilder, die doch die Religion negierten. Er las einen Schriftzug: »Das Fleisch ist vergänglich, aber die Taten des Fleisches können von Dauer sein.« Hier ein Hauch von Hedonismus, dort eine Prise atheistischer Quasi-Religiosität. Zum ersten Mal erkannte Valdorian den profanen und sogar banalen Aspekt des Bauwerks, das mehr als ein halbes Jahrtausend alt war und für die Familie Valdorian eine wichtige Rolle gespielt hatte.
    Er wandte sich vom Obelisken und den Malereien ab, schritt durch einen breiten Gang, ebenfalls von »ewigen« Kerzen erhellt, ging dann eine kurze Treppe hinunter und erreichte die Gruft mit den Sarkophagen. Geschickt angeordnete Spiegel erweckten den Eindruck, dass es Dutzende waren, in einzelnen Nischen aufgestellt, aber in Wirklichkeit gab es nur achtzehn. Langsam ging Valdorian an den Alkoven entlang und lauschte dabei dem Geräusch der eigenen Schritte, das hohl von den gewölbten Wänden widerklang. Am achtzehnten Sarkophag, dem letzten, blieb er stehen und sah auf das Schild, das den Namen seines Vaters trug: Hovan Aldritt Valdorian, geboren 17.04.240 SN, gestorben 23.09.315 SN. Er war einem Unfall zum Opfer gefallen, im Alter von nur fünfundsiebzig Jahren. Einige Sekunden lang blieb Valdorian reglos stehen. Dann beugte er sich vor und berührte den Sarkophag. Sofort entstand ein dreidimensionales Projektionsfeld darüber und zeigte ausgewählte Szenen aus dem Leben des Verstorben. Valdorian sah sich selbst, als drei oder vier Jahre alten Jungen in Begleitung seines Vaters, eines hochgewachsenen Mannes mit großen grauen Augen, die sein Sohn von ihm geerbt hatte. Er beobachtete seinen Vater bei Besprechungen, an Bord eines Segelboots auf dem Scharlachroten Meer, im Kreis der Familie. Die aufgezeichnete Stimme des Toten drang aus einem verborgenen Lautsprecher und weckte Erinnerungen in Valdorian. Während der Kindheit und Jugend war sein Vater eine Gestalt gewesen, die nur gelegentlich eine wichtige Rolle im Leben des jungen Rungard Avar gespielt hatte, denn die meiste Zeit über war Valdorian der Achtzehnte auf Reisen gewesen, um neue geschäftliche Vereinbarungen mit anderen Unternehmen und Welten zu treffen. Er hatte sich darauf konzentriert, den Einfluss der eigenen Unternehmensgruppe und dann auch des Konsortiums auszuweiten; für seine Familie konnte er kaum Zeit erübrigen. Für den neunzehnten Valdorian war aus dem unbekannten Vater zunächst eine autoritäre Figur geworden, die ihm den ersten echten Konflikt in seinem Leben bescherte. Später dann hatte er gelernt, seinen Vater zu verstehen und sogar zu bewundern.
    Valdorian berührte den Sarkophag erneut, woraufhin die dreidimensionalen Bilder verschwanden. Stille breitete sich wieder in der Gruft aus, und er hörte das eigene schwere Atmen. Damals, bei dem

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