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Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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identifizieren. Trauer dominierte, hinzu kamen Melancholie und auch eine besondere Form von Sehnsucht.
    »Viele Jahre lang«, sagte sie. »Wir steuerten ein leeres Schiff durch ein leeres Universum …«
    Joans Stimme verklang, und ihr Blick reichte ins Nichts. Lidia wartet geduldig.
    »Während wir flogen«, fuhr die alte Joan schließlich fort, »immer auf der Suche nach einem richtigen Faden, befanden wir uns außerhalb des Zeitstroms und alterten nicht. Wir standen uns sehr nahe, weißt du? Juri und ich. Wir waren gleichzeitig Piloten und Konfidenten.«
    »Ja, ich weiß«, sagte Lidia, ohne sicher zu sein, ob Joan sie hörte. Die Greisin sprach wie zu sich selbst.
    »Wir wollten zu einer Art Überwesen werden, zu einer neuen Person, die aus uns beiden bestand und viel mehr war als die Summe von eins plus eins.« Der Schatten eines Lächelns huschte über Joans Lippen. »Das war natürlich Unsinn. Solche Wünsche sind das Ergebnis jugendlicher Unreife.«
    Lidia schwieg weiter.
    »Ja, wir flogen mit einem leeren Schiff, und im Lauf der Zeit wurden die Ressourcen an Bord immer knapper. In jenem leeren Kosmos gab es keinen Nexus für die Erneuerung unserer Vorräte. Wir mussten Planeten ansteuern und improvisieren. Die Akuhaschi an Bord halfen uns natürlich, aber nach Vater Mrohs Tod starben auch sie, einer nach dem anderen. Ihnen fehlte der Symbiose-Partner, und wahrscheinlich ertrugen auch sie die Einsamkeit nicht. Immer wieder geschah es, dass wir auf öden Welten festsaßen, weil es keine Fäden gab, denen wir hätten folgen können. Dir hat die Archäologie gefallen, nicht wahr? Für dich wären jene Planeten vielleicht interessant gewesen, denn manche von ihnen waren voller Ruinen, die an die Zeit des Lebens erinnerten. Des Lebens …«
    Joan hob den Kopf, und der Blick ihrer braunen Augen glitt durch die Parkkaverne des Nexus. Vermutlich galt er dem All jenseits der großen Raumstation.
    »Was bedeutet das Leben, wenn es leer bleibt, wenn man es nicht leben kann?«, fragte die alte Joan rhetorisch. »Auf den Welten ohne Fäden befanden wir uns im Strom der Zeit, der nichtlinearen Zeit, und er ließ uns altern wie alle Geschöpfe außerhalb der Kantaki-Dimensionen. Für Juri und mich bestand der neue Sinn des Lebens aus Warten. Viele Jahre lang warteten wir darauf, dass die Bewegungen in den Mustern des Transraums neue Fäden zu den Welten brachten, und wenn das geschah, brachen wir wieder auf und setzten die Suche nach einer Möglichkeit fort, ins Universum der linearen Zeit zurückzukehren.«
    Wie schrecklich, dachte Lidia und versuchte sich vorzustellen, was Joan erlebt hatte. Ein halbes Jahrtausend auf diese Weise verbringen zu müssen …
    »Und dann starb Juri«, sagte Joan so leise, dass Lidia die Ohren spitzen musste, um sie zu verstehen. »Er starb bei dem Versuch, einen sich hin und her windenden Faden festzuhalten und ihn mit dem Schiff zu verbinden. Es gelang ihm nicht, aber sein Selbst … Es klebte irgendwie an dem Faden fest und wurde mitgerissen. Ich habe seine Leiche auf einem namenlosen Planeten begraben.«
    Tränen lösten sich aus den braunen Augen der Greisin, und Lidia rückte näher, schlang beide Arme um Joan. Sie hatte davon gehört, dass manche Piloten ihre Seele dem Transraum überantworteten, wenn sie glaubten, dass ihr langes Leben zu Ende ging. Aber Juri hatte seine Zwillingsschwester bestimmt nicht aus freiem Willen allein zurückgelassen.
    »Fast zehn Jahre lang war ich allein mit dem Schiff unterwegs, nur begleitet von Erinnerungen«, sagte Joan. »Ich weiß nicht, wie ich es ausgehalten habe. Die Ärzte sprechen in diesem Zusammenhang von selektiver Apathie.«
    Die Greisin schwieg, und Lidia hörte das Rascheln von Blättern, als künstlich erzeugter Wind durch die Parkkaverne strich. Eine der artifiziellen Sonnen trieb in der Nähe vorbei, und ihr Licht gab den Falten in Joans Gesicht noch mehr Tiefe.
    »Und die Rückkehr?«, fragte Lidia. »Wie bist du zurückgekehrt?«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte die Alte. »Ich habe geschlafen und hatte einen seltsamen Traum. Als ich erwachte, sah ich einen Faden, der sich von allen anderen unterschied. Ich verband ihn mit dem Schiff, und es flog hierher, in dieses Universum. Es sendete einen Notruf, und andere Schiffe kamen. Man brachte mich hierher.« Joan hatte den Kopf gesenkt und sah nun auf. In ihren braunen Augen veränderte sich etwas. »Man behandelt mich.«
    »Du hast viel hinter dir«, sagte Lidia einfühlsam.
    »Man

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