Kantaki 01 - Diamant
eine Stimme.
»Lidia?«
Erstaunt blieb sie stehen. Diesen Namen hatte sie zum letzten Mal vor zwei Jahren gehört – sie hieß jetzt Diamant.
Eine alte Frau, noch älter als der Greis Floyd, trat ihr entgegen. Ihr Haar war grau, das Gesicht eingefallen, die Augen braun. Ein komplexes Faltenmuster reichte von den Augenwinkeln über die Wangen zum Mund, und am Hals wirkte die Haut schlaff. Die Alte trug einen weiten Overall, wie ihn manche Piloten bevorzugten.
»Erkennst du mich nicht, Lidia?«
»Sind wir uns schon einmal begegnet?« Das Du von einer Fremden klang merkwürdig.
»Vor langer, langer Zeit«, sagte die Alte, und ihre Stimme klang dabei seltsam traurig. »Für mich sind mehr als fünfhundert Jahre vergangen, für dich nur zwei.«
»Aber …«, begann Lidia und unterbrach sich, als sie in den braunen Augen der Alten etwas sah, das ihr vage vertraut erschien. »Joan?«, fragte sie ungläubig. »Joan Gordt?«
»Ja«, bestätigte die Alte, und auch ihr Lächeln war seltsam traurig.
»Aber wie ist das möglich?«, fragte Lidia fassungslos. Ganz deutlich erinnerte sie sich an die Ausbildungszeit auf Tintiran, an die anderen Schüler, an Cora, die beiden Gordt-Zwillinge und Feydor. Joan und Juri waren achtzehn Jahre jung gewesen.
Sie sah sich um. »Wo ist Juri?«
Der Kummer schuf zusätzliche Falten im Gesicht der Greisin.
»Er starb vor mehr als zehn Jahren, und ich glaube, es dauert jetzt nicht mehr lange, bis ich ihm folge. Vielleicht sehe ich ihn in der nächsten Welt wieder.« Bei diesen Worten flackerte Hoffnung in den Augen der Alten auf.
»Joan …«
»Wir sind in die nichtlineare Zeit geraten.«
Das erklärte eine ganze Menge. Lidia wandte sich an ihren Begleiter. »Bitte entschuldige, Floyd. Wir sind gemeinsam zu Piloten ausgebildet worden.«
»Ich verstehe. Es klingt so, als hättet ihr euch das eine oder andere zu erzählen. Ich gehe voraus zum Nachrichtenzentrum, in Ordnung?«
Lidia nickte, sah Floyd kurz hinterher und begleitete die alte, die uralte Joan dann zum Ruheplatz. Dort nahmen sie an einem kleinen Tisch Platz, umgeben von Schlingpflanzen an einem bogenförmigen Spalier.
Joans Blick reichte in die Ferne, über die Kluft von Zeit und Raum hinweg. »Wir verbanden den falschen Faden mit dem Schiff«, begann sie. »Er fühlte sich richtig an, verstehst du? Oh, natürlich verstehst du. Du bist selbst Pilotin, wenn auch erst seit zwei Jahren. Und als wir den Faden mit Vater Mrohs Schiff verbunden hatten, konnten wir ihn nicht mehr davon lösen. Wir haben alles versucht.«
»Wann geschah das?«, fragte Lidia sanft und griff nach Joans faltiger Hand.
»Gut ein Jahr nach dem Ende unserer Ausbildung auf Tintiran. Ich erinnere mich noch genau an das Datum: Es war der 11. Oktober 302 SN. Und weiß du, warum ich mich so genau daran erinnere? Es war unser Geburtstag.«
Lidia drückte die Hand vorsichtig.
»Wir haben alles versucht«, wiederholte die greise Joan. »Vielleicht machten wir es dadurch sogar noch schlimmer. Damals fehlte uns die Erfahrung. Das Schiff blieb mit dem falschen Faden verbunden und folgte ihm in ein leeres, ödes Universum. Dort gab es längst keine Menschen mehr. Alles starb, der Rest des Lebens ebenso wie die Planeten und Sonnen. Eine solche Zukunft erwartet uns in einem Universum, das sich immer weiter und immer schneller ausdehnt. Die Entfernungen werden größer. Die Sonnen verbrauchen ihren nuklearen Brennstoff. Das Leuchten der Galaxien verblasst. Dunkelheit breitet sich aus, überall. Durch einen solchen Kosmos flogen wir, viele Jahre lang. Vater Mroh tröstete uns und betonte immer wieder, es sei nicht unsere Schuld.«
»Bestimmt hatte er Recht«, sagte Lidia voller Anteilnahme.
»Es gab nur wenige Fäden in jenem Universum, denn zwischen den sterbenden Welten existierten kaum mehr Verbindungen. Einmal saßen wir mehr als fünfzig Jahre lang auf einem Planeten fest, bis ihn schließlich einer der wenigen mobilen Fäden erreichte und uns die Möglichkeit gab, die Reise fortzusetzen. Vater Mroh starb etwa dreihundert Jahre nach unserem Wechsel in die nichtlineare Zeit. Er war noch nicht alt, jedenfalls nicht für einen Kantaki. Ich glaube, er ertrug die Einsamkeit nicht mehr. Selbst im Sakrium des Transraums gelang es ihm nicht, einen Kontakt mit anderen Kantaki herzustellen.«
»Ihr habt das Schiff ohne einen Kantaki an Bord geflogen?«, fragte Lidia.
Verschiedene Empfindungen zeigten sich in Joans Gesicht, und es fiel Lidia schwer, sie zu
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