Kantaki 02 - Der Metamorph
Hände an die Schläfen und taumelte fort vom Loch. Er schrie und schrie, so laut er konnte, aus vollem Halse, und seine Schreie kündeten von unvorstellbarem geistigem Schmerz. Emmerson sah, wie er die Augen verdrehte, wie er plötzlich loslief, den Oberkörper dabei nach vorn neigte…
Mit voller Wucht prallte er an die Wand, mit dem Kopf voran. Es knackte laut, die Schreie brachen ab, und Raphael sank zu Boden, rührte sich nicht mehr. Blut strömte aus seinem zerschmetterten Schädel.
Edwald Emmerson rannte ebenfalls los. Raphael hatte Recht. Es gab hier etwas, ein fremdes, dunkles Etwas, das die Adlaten in den Wahnsinn und Raphael zum Selbstmord getrieben hatte. Emmerson hielt sich nicht mit der Frage auf, was mit Stokkart, Professor Ulgar und den anderen geschehen war. Er begriff nur eines: Er musste fort von hier, wenn er überleben wollte.
Er spürte ein unangenehmes Zerren, während er lief, wie Sandpapier, das über den Kern seines Selbst schabte, und er versuchte, eine innere Barriere vor dem Fremden zu errichten, das nach seinen Gedanken tastete. Durch den Raum mit dem goldgelben, nur zum Teil freigelegten Objekt, durch den Korridor zum Lift, der ihn bereitwillig aufnahm und nach oben trug, langsam, viel zu langsam… das Zerren wurde stärker, wie eine Zange, die langsam sein Gehirn zerquetschte… zur Hauptkuppel, durch ein von Zerstörungswut geschaffenes Chaos, vorbei an den toten Adlaten, zur Schleuse…
Emmerson keuchte und schwitzte, als sich das Schott des Tauchbootes öffnete. Schnell, schnell, zu den Kontrollen, weg von der Station, möglichst weit weg… Ein Schritt, und noch einer, und dann schien sein Gehirn zu explodieren und gleichzeitig zu kollabieren, sich zusammenzuziehen. Er fiel, berührte im Fallen Schaltelemente und Kontrollen, hörte das Summen von Motoren, spürte Bewegung, als er auf dem Boden lag, die Hände um den Kopf geklammert, die Finger gekrümmt und wie bestrebt, sich in den Schädel zu bohren, dorthin, wo Schmerz jeden einzelnen Gedanken in ein mentales Säurebad tauchte.
Die Dunkelheit kam aus dem Schacht, und Edwald Emmerson gab sich ihr dankbar hin, denn sie erlöste ihn von der Qual.
29 Im Kontinentalwald
Kerberos
17. April 421 SN
07:50 Uhr
Als Bruder Eklund erwachte, wusste er nicht, ob er geschlafen oder das Bewusstsein verloren hatte. Er öffnete die Augen und sah drei mumifizierte Leichen.
Sie lagen auf der anderen Seite der Hütte, in der er zu sich gekommen war, so an der Wand zusammengekauert, als hätten sie dort während der letzten Sekunden ihres Lebens Schutz gesucht. Ein älterer Mann und zwei Frauen, die offenbar ein ganzes Stück jünger gewesen waren, die Gesichter fratzenhaft im Tod erstarrt.
Etwas berührte Eklund und beantwortete die Frage, was ihn geweckt hatte. Er bemerkte schattenhafte Bewegungen hier und dort in der Hütte: kleine käferartige Geschöpfe, die mit zitternden Fühlern und klackenden Kiefern hin und her huschten. Einige von ihnen krabbelten über Eklunds Leib, berührten ihn mit den Fühlern, verharrten, eilten weiter.
Er schüttelte sie ab, richtete sich auf, griff nach seinem Gehstock und verscheuchte damit einige der unruhigen Wesen, die auch über die drei Mumien hinwegkrochen. Eklund wusste, was es mit diesen Geschöpfen auf sich hatte: Es waren Schwärmer, Augen und Ohren eines Divorators. Woraus sich nur ein Schluss ziehen ließ – er befand sich im Kontinentalwald.
Eklund erhob sich – er hatte auf einem schmalen, einfachen Bett aus Holz gelegen – und stützte sich auf seinen Gehstock, als er zur offenen Tür der Hütte ging. Die Schwärmer beendeten ihre Inspektion des Hütteninnern, kehrten durch Tür und Fenster nach draußen zurück, ohne Eklund Beachtung zu schenken.
Vor dem Eingang lag eine kleine Veranda, und dort blieb Bruder Eklund stehen, hielt sich am Geländer fest und blickte in die Tiefe. Fast hundert Meter trennten ihn vom dunklen Boden des Kontinentalwalds, den kaum ein Sonnenstrahl erreichte. Selbst hier oben, in mittlerer Höhe, blieb es düster. Helles Licht gab es nur in den oberen beiden der insgesamt sechs so genannten Hauptetagen des Waldes.
»Raimon?«
Nur das Zirpen und Summen der Waldbewohner antwortete ihm. Luftwurzeln hingen von weit oben herab, von den hundert Meter entfernten Baumkronen. Dort strich Wind über die Wipfel der Riesenbäume, und manchmal entstanden dadurch kleine Lücken im Blätterdach, durch die das Licht fiel.
Licht. Ein neuer Tag.
Bruder
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