Kantaki 02 - Der Metamorph
Eklund wandte sich um und stellte fest, dass die Hütte auf einer kleinen Plattform stand, dort, wo mehrere dicke Primäräste vom Stamm aus nach oben strebten, jeder mit einem Durchmesser von mehreren Metern. Es erstaunte ihn nicht, dass die Hütte ausgerechnet an dieser Stelle gebaut worden war, denn sie bot Schutz vor einigen besonders gefährlichen Vertretern der lokalen Fauna. Vor einem Divorator allerdings schützte dieser Ort nicht.
Eklund sah erneut in die Tiefe und beobachtete, wie die käferartigen Schwärmer über den Stamm nach unten krabbelten. Irgendwo dort in der Finsternis am Waldboden wartete der Divorator auf die Rückkehr seiner Augen und Ohren, die er in alle Richtungen ausgeschickt hatte, um sich dann für ein Ziel zu entscheiden. Eklund hoffte, dass einige Schwärmer woanders vielversprechendere Beute lokalisiert hatten.
Er kehrte ins Innere der Hütte zurück und versuchte, sich zu erinnern. Den schrecklichen Tod der beiden Sekuritos beim Hafen von Chiron hatte er ganz deutlich vor Augen, ebenso das Geschöpf, in das sich Raimon verwandelt hatte. Aber die Ereignisse blieben schemenhaft und verschwommen, ohne klare Konturen, ohne Details. Raimon – das monströse Wesen, zu dem der Junge geworden war – hatte ihn zum Kontinentalwald gebracht, in diese Hütte, und dann… Was?
Einmal mehr hatte Eklund das sonderbare Gefühl, dass sich seine Gedanken wie von selbst bewegten, ohne die Kontrolle eines bewussten Selbst, und die Richtung, in die sie führten, gefiel ihm nicht. Es wurde immer wahrscheinlicher, dass Raimon tatsächlich hinter den beiden sonderbaren Todesfällen in der Zitadelle steckte. Wenn das stimmte, war er ein Mörder – ein Mörder, der nicht töten wollte, wie Eklund wusste. Eigentlich kein Täter, sondern eher ein Opfer. Aber wessen Opfer? Wer oder was steckte dahinter?
Er erinnerte sich an das Muster der bunten Steine und glaubte erneut, das Flüstern der Weltseele zu hören. Ein Auftrag, eine heilige Mission… Schütze den Jungen.
Aber die jüngsten Ereignisse deuteten darauf hin, dass Raimon sehr gut auf sich selbst aufpassen konnte. Wer war er? Was war er? Diese beiden Fragen rückten immer mehr in den Vordergrund.
Eklunds Blick fiel auf die drei mumifizierten Leichen an der einen Wand der Hütte. Normalerweise vertilgten Aasfresser aller Art totes Fleisch im Kontinentalwald innerhalb kürzester Zeit, und wenn sie tatsächlich einmal etwas übersahen, sorgten Wärme und hohe Luftfeuchtigkeit für rasches Verwesen. Bei diesen drei Personen war weder das eine noch das andere geschehen. Eklund vermutete, dass sie im Wald nach neuen Drogen gesucht hatten, wie so viele andere, in der Hoffnung, schnell reich zu werden. Offenbar hatten sie auch selbst eifrig Kerberos-Drogen konsumiert – das erklärte die Mumifizierung. Es gehörte zu den Auswirkungen der vielen berauschenden Substanzen, die die Tier- und vor allem die Pflanzenwelt von Kerberos produzierten.
Geist und Seele schenkten sie Träume, gefährlich schön, und unter bestimmten Voraussetzungen konservierten sie den Körper nach dem Tod.
Eklund sah auf die drei Mumien hinab. »Es ist der falsche Weg in die Ewigkeit«, sagte er leise. »Drogen bedeuten Flucht.«
Es sei denn, man verdiente Geld mit ihnen, so wie der Autokrat und viele andere auf Kerberos. Die drei Toten hatten das ebenfalls versucht, aber die einfache Hütte und ihre primitive Einrichtung deuteten darauf hin, dass sie nicht sonderlich erfolgreich gewesen waren.
Bruder Eklund trat in die Mitte des Raums, stützte sich dort auf seinen Gehstock und ließ den Blick durchs Halbdunkel schweifen. Stühle, an der einen Wand ein Tisch, kleine Schränke aus billiger Synthomasse, zwei Unterhaltungsservos, daneben ein Akkumulator. Eklund näherte sich ihm und sah auf die Anzeige. Nicht ein einziger Indikator leuchtete; das Gerät enthielt keine Energie.
Noch einmal sah er durch den Raum. Raimon – das Geschöpf, das ihn hierher gebracht hatte – schien nirgends Spuren hinterlassen zu haben.
Ein seltsames Geräusch kam von draußen.
Eklund ging langsam zur Tür, trat auf die Veranda und lauschte. Von weit oben kam ein fernes Rauschen, die Stimme des Winds in den hohen Baumkronen, wie ein Seufzen des Waldes. Unten, wo zuvor alles still gewesen war, kratzte und schabte es.
Eklund beugte sich übers Geländer und sah in die Tiefe.
Ein Divorator kroch am Baum empor.
In seinem ganzen langen Leben war Bruder Eklund nur zweimal im Kontinentalwald gewesen,
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