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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Schritt vor.
    Aus dem Flüstern in der Ferne wurde ein jähes Kreischen, das ihm die Trommelfelle zu zerreißen drohte, und die Dunkelheit wich so plötzlich zurück, als hätte eine gewaltige Hand sie gepackt und fortgerissen.
    Ein glitzernder Vorhang erstreckte sich vor dem Autokraten, wie eine vertikale Wasserfläche oder eine Wand aus Quecksilber. Ein sonderbarer, scharfer Geruch ging von ihr aus, wie eine Mischung aus Ozon und Muskat. Hinter Stockart blieb alles finster; wenn sich dort etwas befand, so entzog es sich seiner visuellen Wahrnehmung.
    Der silbern glänzende Vorhang kräuselte sich immer wieder und zeigte vage Bilder. Stokkart sah genauer hin und glaubte, jemanden zu sehen, der eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm hatte. Aber die Darstellung löste sich sofort wieder auf, und andere ersetzten sie, kaum mehr als farbige Schlieren im leuchtenden Silber. Versuchsweise hob Stokkart die Hand und berührte den Vorhang mit der Spitze des Zeigefingers. Stärkere Kräuselungen gingen von der Kontaktstelle aus, und etwas zog den Finger tiefer ins Silber, schien bestrebt zu sein, den ganzen Körper hineinzuziehen. Erschrocken riss er die Hand zurück, betrachtete den Zeigefinger und konnte keine Verletzung oder Veränderung erkennen. Was ist dies für ein Ort?, dachte er. Bin ich noch im Innern des Artefakts? Und wie kann ich es verlassen?
    // Nicht verlassen. Weiter. Ins Zentrum. \\
    Stokkart drehte sich mehrmals um die eigene Achse, auf der Suche nach dem Ursprung von Worten, die er weder gehört noch telepathisch empfangen hatte. Sie erschienen direkt in seinem Bewusstsein, wiesen große Ähnlichkeit mit den eigenen Gedanken auf, hatten aber ein anderes mentales Aroma.
    // Ins Zentrum. Ins beschädigte Zentrum. Das Zentrum vervollständigen. Repristination hat begonnen. Wiederbelebung. \\
    Weitere Bilder huschten durch den glitzernden, wogenden Vorhang, und Stokkart ahnte, dass sie mit seinen Empfindungen und Gedankenmustern in Zusammenhang standen. Ein Spiegel für den Geist? , fragte er sich.
    Die silberne Substanz wölbte sich ihm entgegen, und Stokkart wollte instinktiv zurückweichen, aber hinter ihm gewann die Finsternis die Konsistenz von Stahlkeramik und hielt ihn fest.
    Der scharfe Geruch wurde noch intensiver, als die Wölbung im silbernen Vorhang wuchs und ihn berührte. Erneut spürte er das Zerren, und es war so stark, dass es ihn in die schimmernde glühende Substanz zog. Etwas dehnte seinen Körper bis auf unendliche Länge, nahm jede einzelne Körperzelle und drehte sie hin und her, bevor es sie an ihren Platz zurücklegte, und dann schnellten die beiden Enden von Stokkarts physischer Existenz aufeinander zu, wie ein Gummiband, das jemand weit auseinander gezogen hatte und dann losließ.
    Der Autokrat kollidierte mit sich selbst, fiel und prallte auf einen harten, staubigen Boden. Er öffnete die Augen – und schloss sie gleich wieder, als ihn grelles Licht blendete. Aus der Kühle in der Welt der Finsternis war Hitze geworden; mit jedem Atemzug sog er unangenehm heiße Luft in die Lungen.
    Er öffnete die Augen einen Spaltbreit und wartete ungeduldig darauf, dass sie sich nach der langen lichtlosen Schwärze an die Helligkeit gewöhnten.
    Stokkart war an die tropische Hitze von Chiron gewöhnt, aber hier schien die Luft selbst zu brennen, und jeder Atemzug kostete ihn wertvolle Feuchtigkeit. Vorsichtig stand er auf, beschattete sich mit einer Hand die Augen und versuchte Einzelheiten seiner Umgebung zu erkennen. Lehmbraunes, heißes Felsgestein, über dem die Luft flimmerte, fiel ein Stück vor ihm nach unten ab und verschwand in einem Meer aus jener Substanz, aus der der glänzende Vorhang bestanden hatte. Der silbrige Ozean endete an einem auffallend nahen Horizont, stieß dort an einen Himmel so schwarz wie der Ort, den Stokkart gerade verlassen hatte. Er blickte zum dunklen Firmament empor – genau im Zenit strahlte etwas, von dem das grelle Licht stammte. Eine Sonne war es nicht, das wusste er. Warum der Rest des Himmels schwarz blieb, gehörte zu den vielen Rätseln des Artefakts. Und dass er sich noch immer im Artefakt befand, davon war der Autokrat überzeugt.
    Er trat über das Felsgestein, und je näher er dem Ufer kam, desto heißer wurde es. Einen Meter vor der quecksilberartigen Masse blieb Stokkart stehen. Die Luft schien regelrecht zu kochen und bestrebt zu sein, ihm die Lungen zu verbrennen. Er hob die Hände, und seine Phantasie gaukelte ihm erste Brandblasen vor.
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