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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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gelang Vater Brrin, sein verletztes Selbst neu zu strukturieren und zu organisieren. Als er seine Aufmerksamkeit wieder nach außen richtete, bemerkte er zwei wesentliche Veränderungen. Die erste: Der Kanal im Zentrum der Höhle, die Säule aus hyperdimensionaler Energie, leuchtete heller als sonst – das sah er selbst durch den Schleier; und der Zapfen ganz oben, die Verbindung mit dem Transraum, war größer geworden. Die zweite: Vater Xsi, der wie Mutter Krsah zu den Großen Fünf zählte, hatte seine vorderen Gliedmaßen in den Pilz gebohrt, auf dem Vater Brrin saß, mit dem er verwachsen war. Damit stimulierte er den Pilz und veranlasste ihn zur Sekretion einer besonderen Substanz, die ihn von körperlichen Qualen befreite.
    »Beim letzten Schritt soll ihn kein Schmerz begleiten«, klickte Vater Xsi.
    »Dass ich ausgerechnet jetzt sterben muss, während einer solchen Krise…«
    »Jeder von uns muss dem Ruf folgen, wenn er erklingt, und wann er erklingt. Ist er bereit, Vater Brrin?«
    Noch einmal sah sich Vater Brrin in der Höhle um, in der er so viele Zyklen verbracht hatte. Durch den Schleier vor seinen Augen sah er keine Einzelheiten mehr, aber er nahm die Emanationen der vielen anderen Kantaki wahr, geprägt von Respekt, Dankbarkeit, Ehrerbietung und Liebe. Niemand konnte sich einen besseren Abschied wünschen.
    »Ich danke ihm, Vater Xsi«, klickte Vater Brrin. »Ich danke allen.«
    Dann schloss der alte Zeitwächter seine multiplen Augen für immer, und sein Selbst löste die Verbindungen mit dem Physischen, schwebte zum Kanal, eskortiert vom Gesang der Kantaki. Die Säule nahm Vater Brrins Ich auf, trug es zum Zapfen, und von dort aus…
    Munghar glitt unter ihm fort, und die wohlige Dunkelheit des Transraums empfing ihn. Die Schwäche fiel von Vater Brrin ab, und Ruhe breitete sich in ihm aus, als er den Schatten entgegenflog, die durch diese Sphäre zwischen den Dimensionen glitten. Er hörte ein Flüstern, wie ein Gruß, der ihn willkommen hieß, das Wispern und Raunen der vielen anderen Kantaki, die überzahllose Großzyklen hinweg gestorben waren. Ihre Erinnerungen weilten hier, als Teil des Geistes, der einst Materie geworden war.
    Vater Brrin ging glücklich in ihm auf.
     

 
     
DREI
     
TOTALITÄT
     
     

34  Verschmelzungen
     
Kerberos
17. April 421 SN
09:26 Uhr
     
    Bruder Eklund hatte fast sein ganzes langes Leben auf Kerberos verbracht, aber so etwas sah er jetzt zum ersten Mal. Zahlreiche Raumschiffe zogen über den Himmel, doch sie stammten nicht von den Kantaki oder den Horgh. Es waren auch keine interplanetaren Passagierschiffe oder Frachter. Eklund beobachtete lang gestreckte graue Ovale, kleinere delta- und keilförmige Schiffe.
    »Elisabeth?«, fragte er, den Kom-Servo vor dem Mund.
    »Ich bin gerade gestartet«, antwortete die Ärztin. Diesmal erklang nur ihre Stimme; es gab keine pseudoreale Darstellung.
    »Ich sehe Dutzende von Raumschiffen am Himmel, und viele von ihnen fliegen in Richtung Chiron.«
    »Was?«
    Es zischte und knisterte, und Eklund wollte seine Worte schon wiederholen, als Elisabeth sagte: »Ich sehe sie ebenfalls. Meine Güte!« Eine kurze Pause. »Ein Gefechtsshuttle nähert sich, und ich empfange Signale auf einer anderen Frequenz. Ich melde mich gleich wieder, Eklund.«
    »Lass dir nicht zu viel Zeit«, erwiderte Eklund besorgt. »Wir brauchen deine Hilfe, dringend.«
    Er ließ den Zylinder des Kommunikationsservos sinken, beobachtete eine Zeit lang die über den Himmel gleitenden Schiffe und senkte den Blick dann. Raimon lag im vorderen Teil des Bootes, und Eklund sah deutlich, wie sich die Augen unter den geschlossenen Lidern bewegten. Manchmal zuckten Arme und Beine des Jungen.
    »Raimon?« Eklund beugte sich vor und berührte den Jungen, doch dessen Augen öffneten sich nicht.
    Der Strom in unmittelbarer Nähe des Flusses schien noch immer zu kochen, aber die Bäume am Ufer wogten nicht mehr hin und her, und die übrigen Bereiche des Acheron wirkten ruhiger. Mit trügerischer Trägheit trieben die Fluten auf die Nadelfelsen zu, die in der Flussmitte einen steinernen Wald bildeten. Die Strömung, so bemerkte Eklund jetzt, trug sie dem Rand dieses »Waldes« entgegen, hinter dem der Dunst des Großen Katarakts in der Luft hing. Wie viel Zeit blieb noch? Zwei, drei Minuten?
    »Elisabeth?«
    Die Ärztin antwortete nicht.
    Wie schnell konnte ein Levitatorwagen fliegen?, fragte sich Eklund. Und wie sollten sie an Bord gelangen, wenn er rechtzeitig

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