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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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innerhalb weniger Sekunden heißer Schmerz.
    Er schnitt eine Grimasse und musste sich eingestehen, dass er nicht in der Lage sein würde, sich länger als eine halbe, höchstens eine Minute festzuhalten. Anschließend ging die Reise zum Katarakt weiter, eine weitere Minute, vielleicht etwas mehr. Und dann…
    Lass mich nicht scheitern, dachte Eklund.
    Erneut blickte er in Richtung der Gischtwolke beim großen Wasser, dessen Donnern wie das Grollen eines fernen Gewitters klang, und diesmal glaubte er, im wogenden Weiß einen dunklen Punkt zu erkennen. Neue Hoffnung erwachte in ihm. Nein, er hatte sich nicht getäuscht: Es war tatsächlich ein Levitatorwagen, der in einer Höhe von einigen Dutzend Metern über dem Acheron flog und sich schnell näherte.
    Eklund war plötzlich sicher, dass Elisabeth an den Kontrollen saß. »Ich danke dir, Weltseele«, sagte er leise. »Ich danke dir, dass du sie zu mir geführt hast.«
    Mit summendem Levitator verharrte der Wagen über dem Felsen, und die Tür klappte auf. Elisabeth sah nach unten. »Wie konntest du nur in eine solche Lage geraten?«
    »Ich erzähle es dir, sobald du uns aufgenommen hast«, erwiderte Eklund, und genau das war das Problem: Wie sollten sie an Bord gelangen? Er fühlte sich nicht kräftig genug, um Raimon hochzuheben, und wenn er den Felsen losließ, wurde das Boot sofort von der Strömung fortgetragen.
    Elisabeths Kopf verschwand kurz und kehrte dann zurück. »Ich habe leider nur einen«, sagte sie und hielt einen Levitatorgürtel in der ausgestreckten Hand. »Fang auf.«
    »Dazu muss ich loslassen.«
    »Ich weiß. Aber ich sehe keine andere Möglichkeit.«
    »Ich auch nicht.« Eklund holte tief Luft. »Also gut. Lass den Gürtel fallen, wenn ich loslasse. Jetzt! «
    Er wandte sich vom Felsen ab und fing den Levitatorgürtel auf, als das Boot vom Felsen fortglitt. Damit, so wusste er, hatte der Countdown begonnen. Er versuchte, dem heftigen Rückenschmerz keine Beachtung zu schenken, kroch nach vorn, legte Raimon den Gürtel an, aktivierte ihn und wählte eine der niedrigsten Justierungen. Langsam stieg der Junge von seinem Lager aus Zweigen und Blättern auf. Oben wartete Elisabeth in der offenen Tür des Levitatorwagens, dessen Navigationsservo sie offenbar angewiesen hatte, dem Boot zu folgen. Sie war mit einem flexiblen Sicherheitsharnisch verbunden, beugte sich vor, griff nach dem Arm des nackten Jungen und zog ihn ins Innere des Wagens.
    Eklund blickte zur Gischtwolke, die größer geworden war, hörte das lautere Donnern des Katarakts. Wie viel Zeit blieb noch? Dreißig Sekunden? Weniger?
    »Jetzt du!«, rief Elisabeth von oben. Sie hatte den Levitatorgürtel von Raimon gelöst und hielt ihn in der Hand.
    Eklund bereitete sich darauf vor, den Gürtel zu fangen. Die Strömung wurde schneller, das Wasser immer unruhiger. Die Wellen trugen weiße Kronen, und das Boot begann mit einem rasch lebhafter werdenden Tanz.
    Elisabeth ließ den Gürtel fallen.
    Das Boot kippte zur Seite, als es erneut über einen Felsen hinwegknirschte, der bis knapp unter die Wasseroberfläche reichte. Eklunds linke Hand tastete nach dem Rand des Bootes, um sich festzuhalten, und die rechte streckte sich dem Levitatorgürtel entgegen…
    Die Finger berührten ihn, bekamen ihn aber nicht zu fassen. Der Levitatorgürtel fiel ins Wasser.
    Das Donnern des Katarakts war plötzlich wie eine Stimme, die Eklund verhöhnte.
    Noch zwanzig Sekunden?
    Der Levitatorwagen sank tiefer, und einmal mehr erschien Elisabeth in der offenen Tür. »Greif nach dem Rand, und zieh dich hoch!«
    Eklund versuchte sich aufzurichten, aber inzwischen tanzte das Boot so sehr auf den Wellen, dass er das Gleichgewicht zu verlieren drohte, wenn er stand. Hinzu kam der Schmerz im Rücken, der ihn zu lähmen drohte, wenn er eine falsche Bewegung machte. Der Wind trug ihm erste Gischt vom Katarakt entgegen, dessen Donnern mit jeder verstreichenden Sekunde lauter wurde. Sollte dies das Ende sein? Hatten fast hundert Lebensjahre auf diesen Moment zugesteuert, auf einen von unglücklichen Umständen verursachten Tod? Und seine Mission? Ließ ihn die Weltseele hier und jetzt im Stich? Welchen Sinn hatte das alles?
    Er sah die Kante des Wasserfalls, hörte die Stimme des Acheron, dessen Fluten in die Tiefe stürzten, um hundert Meter weiter unten einen Strom zu bilden, der immer mehr in die Breite wuchs und bei Chiron ein ausgedehntes Delta bildete. Nur noch dreißig Meter trennten ihn vom Katarakt.

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