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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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laut, obwohl sie sich gar keine Sprechwerkzeuge zugelegt hatte. Und die Worte erklangen, obwohl es in der riesigen Kontrollstation der Tschiowan keine Atmosphäre gab, in der sich Schallwellen ausbreiten konnten. »Der Keim, den ich suche – er war hier. Aber er hat keine Flecken an den kosmischen Saiten hinterlassen. Wie ist das möglich?«
    Agens: Lokalisierung. Möglichkeit der Tarnung berücksichtigen.
    »Tarnung?«, wiederholte KiTamarani. »Wie soll so etwas möglich sein?«
    Die Tschiowan verloren ihre Träume, ihre Sänger die Stimmen, die Einfluss auf die Realität nehmen konnten. Und die Realität… schwand. Sie kamen nicht mehr dazu, durch das Tor zu fliehen, durch den Tunnel, den die Singularität für sie erzeugen sollte. Sie erlagen dem Nichts, geschaffen vom Keim, der wie der Omnivor vor der Splitterung Realität fraß und leere Stellen im Gefüge der Dimensionen zurückließ. Erst hatte er den Tschiowan ihre Träume genommen und dann die Wirklichkeit, die sie umgab, in der sie gelebt und gehofft hatten.
    Fremde Träume…
    Agens: Bestätigung. Tarnung mit fremden Träumen, mit fremden Gedanken.
    »Darum hat er keine Spuren an den Saiten hinterlassen«, sagte KiTamarani. »Er verbarg seinen Makel in gestohlenen Träumen.«
    Und nach dem Tod der Tschiowan, nach dem Ende dieses Volkes, in dessen Kultur die Realitätssänger eine so große Rolle gespielt hatten, war das durch Gesang geschaffene Sonnentor instabil geworden. Die künstliche Singularität in seinem Zentrum wurde so gefräßig wie der Omnivor, verschlang erst die von den Roten Riesen abgestrahlte Energie und dann auch ihre Masse. Heiße Gasströme bildeten sich. Plasmastraßen wuchsen durchs All, führten in immer enger werdenden Spiralen zur Singularität und verschwanden an ihrem Ereignishorizont. Es würde nicht mehr lange dauern, bis das Schwarze Loch seinen Rachen noch weiter öffnete, um die Sonnen in seiner Nähe ganz zu verschlingen, und mit ihnen diese große Station, von der aus die Sänger der Tschiowan die Realität mit ihren Liedern verändert hatten.
    KiTamarani setzte den Weg durch Säle, Hallen, Gänge und Schächte fort, erreichte schließlich den Raum, in dem die Sänger der Tschiowan gesungen hatten. Wie eine Blase wölbte er sich aus den Oktaedern der Station, einst ausgestattet mit einer transparenten Decke, von der nichts mehr übrig war. Das Vakuum des Alls berührte die Einrichtungsgegenstände: Liegen, mehrfach segmentierten Körpern angepasst, Schwingungsverstärker für die Stimmen der Sänger, einst funkelnde, jetzt von harter Strahlung getrübte Kristalle, die Reste von anorganischen Mechanismen, deren Aufgabe darin bestanden hatte, die körperliche und geistige Integrität der Sänger zu gewährleisten. Vor dem Keim des Omnivors hatten sie keinen Schutz bieten können.
    In der Mitte dieses Raumes verharrte die Konziliantin und sah hinaus ins All, ins lodernde Sonnentor, das immer mehr Energie und Masse an die Singularität verlor. Ihre Kapsel mit dem sekundären Ich an Bord und den Verbindungen zu den anderen Konzilianten, weit entfernt in Raum und Zeit, schwebte in der Nähe, kleiner als die Station der Tschiowan, und doch in gewisser Weise viel, viel größer, ein Stern unter Sternen. KiTamaranis Blick folgte der solaren Materie von einundzwanzig Sonnen, die ein Netz aus feurigen Bändern um das Schwarze Loch wob und schließlich im kosmischen Schlund verschwand. Der Ereignishorizont begrenzte ihre Wahrnehmung nicht. Kleine Selbstfragmente huschten über ihn hinweg, glitten hinein in einen Mahlstrom, der Zeit und Raum zermalmte, die Struktur der Dimensionen zerfetzte, um anschließend filigrane Muster dort zu bilden, wo selbst jetzt, nach all den Jahrmilliarden, die Stimmen der Schöpfung flüsterten, ruhig, sanft und voller Zuversicht. Bei diesen Stimmen vernahm KiTamarani ein Echo des Gesangs der Realitätssänger und…
    … eine Dissonanz.
    Agens: Spur gefunden. Handeln erforderlich.
    Die ausgeschickten Selbstfragmente kehrten zurück, und KiTamarani sah mit Augen, die keine Substanz hatten, sah mit ihnen und verstand. »Er hat sich mit Träumen und gefressener Realität so gut getarnt, dass er an den Saiten keinen Makel hinterließ. Aber sein Schritt durch die Singularität hinterließ einen winzigen Kratzer.«
    Agens: Handeln erforderlich. Dringlichkeit.
    »Ich komme.« Ich – welch ein seltsames Wort, voller absurder Bedeutung. Einerseits schien es auf eine groteske Weise mehr zu sein, doch seine

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