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Kantaki 03 - Der Zeitkrieg

Kantaki 03 - Der Zeitkrieg

Titel: Kantaki 03 - Der Zeitkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Universum sind unmöglich; so etwas verstößt gegen die Prinzipien der Kausalität. Ein Philosoph der Feyn könnte es dir genau erklären, aber den Temporalen ist es leider gelungen, die Feyn fast völlig auszulöschen, und zwar in allen Zeitlinien. Ganz zu Anfang hat der Widerstand auf Synthesen verzichtet, doch die betreffenden Personen sind wahnsinnig geworden. Sie alle. Die Feyn haben es auf die Eherne Kausalität zurückgeführt.«
    »Aber ich … mein Leben …«
    »Oder meins«, sagte Diamant, obwohl sie es besser wusste. »Es steht keineswegs fest, wer von uns beiden die höhere Realitätsdichte hat. Aber selbst wenn du weniger real bist, du verschwindest nicht einfach. Du existiert weiter, in mir. Wir existieren beide.«
    »Wie kann ich weniger real sein?« Lidia hob ihre Hände und betrachtete sie, als befürchtete sie, die Finger könnten sich plötzlich auflösen und verschwinden.
    »Du kommst aus einer Zeitlinie ohne den ersten Zeitkrieg«, sagte Diamant. »Jene Linien sind das Ergebnis besonders großer Manipulationen, und deshalb sind sie besonders weit von der einen, ursprünglichen Zeitlinie entfernt, in der die Temporalen auf den Kollaps hinarbeiten. Unserer Erfahrung nach ist die Realitätsdichte in den stark manipulierten Linien eher gering.«
    »Die Chancen sind also nicht fair zwischen uns verteilt.«
    »Es geht hier nicht um Fairness. Es geht um die Frage, ob wir beide in einigen Tagen den Verstand verlieren, oder ob wir, die wir immer eine Person waren, wieder zu einer Person werden.«
    Lidia zitterte noch immer und sah aus großen Augen zu Diamant auf, wirkte angespannt und wie zur Flucht bereit. »Wie können wir eine Person sein, wenn ich ein ganz anderes Leben gelebt habe als du?«
    »Erzähl mir davon«, sagte Diamant. »Erzähl mir von deinem Leben.«
    Und Lidia DiKastro, Tochter der Nonkonformisten Roald DiKastro und Carmellina Diaz, erzählte von ihrem Leben als Xenoarchäologin. Rungard Avar Valdorian war sie nie begegnet, hatte nie zwischen ihm und einem Leben als Kantaki-Pilotin wählen müssen. In der Akademie der Wissenschaften und schönen Künste von Bellavista auf Tintiran hatte sie Xenoarchäologie studiert, sich auf die Xurr und LaKimesch spezialisiert. Zusammen mit ihrem Mann Robert hatte sie Dutzende von Welten mit Hinterlassenschaften der Xurr und Fraktalen der LaKimesch besucht. Ihre Kinder begleiteten sie manchmal auf den Reisen oder verbrachten einige Wochen bei ihren Großeltern auf Xandor.
    »Wie heißen deine Kinder?«, fragte Diamant, und eine seltsame Hoffnung regte sich in ihr.
    »Alex und Tamara.«
    Nicht Leonard und Francy, dachte Diamant, und ein Hauch von Bitterkeit verdrängte die Hoffnung, als sie an die beiden Kinder dachte, die sie und Valdorian in einem Paralleluniversum hatten.
    »Leben unsere Eltern in deiner Welt noch?«, fragte Diamant und dachte an die drei Gräber unter dem Schnee.
    »Ja«, sagte Lidia, und ein Teil der Anspannung fiel von ihr ab. »Sie wohnen meist im Haus am See. Vater arbeitet dort am besten. Sein letzter Roman war ein großer Erfolg.«
    »Türme ins Irgendwo …«
    »Ja.«
    In Diamants Welt hatte Roald DiKastro von jenem Roman nur den Titel und eine Widmung für seine Tochter Lidia geschrieben.
    »Wie kann all das … nicht real gewesen sein?«, fragte Lidia hilflos.
    Diamant rang sich ein Lächeln ab. »Es war real, für dich. Und es wird immer real bleiben, für uns.« Sie streckte die Hand aus. »Komm.«
    Für ein oder zwei Sekunden erweckte Lidia erneut den Eindruck, fliehen zu wollen, doch dann stand sie auf und ergriff Diamants Hand. Die Berührung der beiden Hände veränderte etwas in ihrem Gesicht, und ein Schatten wich daraus. Falten schienen sich zu glätten.
    Diamant zögerte nicht länger, trat vor, in ihr anderes Selbst hinein, das plötzlich Substanz verlor …
    Niemand starb. In gewisser Weise wurde jemand geboren, eine neue Diamant, in der die Erinnerungen aus den verschiedenen Zeitlinien miteinander verschmolzen. Diese neue Diamant, reicher um ein weiteres Ich, das einundzwanzigste, sah die Erinnerungen des Lebens, von dem Lidia eben noch erzählt hatte, fühlte ihre Freude und ihre Trauer, spürte die Liebkosungen ihres Mannes Robert, die Umarmungen ihrer beiden Kinder und die Kälte des Eises, das Xurr-Artefakte konserviert hatte. Diese memorialen Bilder fügten sich all den anderen hinzu, wurden Teile eines größeren Bilds, das insgesamt zweiundzwanzig Leben beschrieb. Die Integration war nicht leicht,

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