Kantaki 04 - Feuervögel (Graken-Trilogie 1)
Tal-Telassi zu werden.
Dominik sank auf die Knie, die Hände an die Schläfen gepresst, das Gesicht eine Grimasse.
»Lassen Sie ihn in Ruhe!«, rief Loana.
»Sieh hin! Sieh die Lüge! Er möchte, dass du deine Gefühle behältst, weil es ihm so passt. Es ist reiner Egoismus.«
»Das … ist … nicht … wahr«, brachte Dominik mühsam hervor. Eine eiserne Hand schien sein Bewusstsein festzuhalten und langsam zusammenzudrücken.
»Er hat dich belogen , Loana!« Norenes Stimme klang jetzt wie das Zischen eines Geysirs. »Betrachte seine Gedanken und sieh die Lüge !«
Durch den Schleier des Schmerzes sah Dominik, wie Loana die Augen aufriss – erkannte sie seinen Zweifel? –, und dann sprang sie an ihm vorbei, auf Norene zu. Er verlor das Gleichgewicht, kippte zur Seite, prallte auf den Boden und beobachtete, wie Loana die Fäuste hob und versuchte, Norene zu schlagen.
»Lassen Sie ihn in Ruhe!«
»Bist du noch immer so sehr in deinen Gefühlen gefangen, dass du die Wahrheit nicht sehen willst, Kind? Muss ich sie dir noch deutlicher zeigen?«
Qualen verschleierten das Bild vor Dominiks Augen, aber er sah, wie Schmerz in Loanas Gesicht erschien – er spürte ihn in ihr, als Norene sie zwang, seine Gedanken zu empfangen, und mit ihm den Zweifel.
In Dominik zerriss etwas. Zorn fegte den Schmerz hinweg und sprengte die eiserne Hand, die sein Selbst gepackt hatte. Während er sah, wie sich Norene überrascht von Loana abwandte, stieg etwas aus seinem Innern empor, etwas Kräftiges und Mächtiges, holte aus und schlug mit einer mentalen Wucht zu, die ihn verblüffte.
Er wusste nicht, woher er die Energie bezog, aber sie genügte, um Norene zu Boden zu schleudern. Als sie dort lag, reglos, den Mund wie zu einem Schrei geöffnet, wirkte ihr weites weißes Gewand wie ein Leichentuch.
Es lastete nicht mehr der geringste Druck auf Dominiks Bewusstsein, aber er fühlte sich schwach und ausgelaugt, als er auf die Beine kam. Loana stand neben Norene und blickte fassungslos auf sie hinab.
»Sie ist eine Großmeisterin , und du bist …« Sie schüttelte den Kopf. »Hast du sie …?«
»Nein, sie lebt. Und sie wird gleich wieder zu sich kommen, ich spüre es.« Er griff nach Loanas Hand. »Wir sollten besser von hier verschwinden.«
»Willst du dich vor ihr verstecken?«, fragte Loana, als sie durch den botanischen Garten eilten. »Sie wird uns finden, das weißt du.«
»Natürlich. Aber wenn wir uns in der Nähe anderer Personen befinden, sind ihre Möglichkeiten begrenzt. Dann kann sie nicht direkt gegen uns vorgehen.«
Loana schüttelte erneut den Kopf. »Was hast du getan, Domi?«
»Was hat sie getan?«, entfuhr es ihm mit einem Rest von Zorn. Sie verließen den botanischen Garten, traten auf eine der kleinen Leviplattformen, die man innerhalb von Tarion verwendete, und flogen durch einen langen, leeren Flur. »Sie hätte nicht einfach so mein Selbst aus dem Kopf zerren und nach außen stülpen dürfen. So etwas verstößt gegen die Regeln der Schwestern.« Weniger vehement fügte er hinzu: »Das war sehr mutig von dir, Loa.«
»Es war dumm von mir«, erwiderte sie leise und voller Kummer.
»Du hast versucht, mir zu helfen, und dafür danke ich dir. In jenem Augenblick hast du eine Entscheidung getroffen, dich für mich und deine Gefühle entschieden.«
»Ich habe nicht nachgedacht.«
Sie kamen an den ersten Thermen vorbei, doch sie waren leer. Dominiks Besorgnis wuchs, denn er spürte, dass Norene wieder zu sich kam. Er hatte sie überrascht – nur deshalb war es ihm gelungen, sie zu überwältigen. Gegen eine vorbereitete Großmeisterin hatte er kaum eine Chance, und Norene konnte praktisch nach Belieben mit ihnen verfahren, wenn kein Beobachter in der Nähe weilte. Bei der nächsten Abzweigung steuerte er die Plattform in Richtung der Zyotenfarmen, obwohl es ein Umweg war: Der direkte Weg zum Lyzeum und den Schülerquartieren führte geradeaus, durch weitere Flure, in denen sich um diese Zeit niemand aufhielt.
In der Ferne verdichtete sich die geistige Aura eines erwachenden Bewusstseins. Dominik betätigte die Kontrollen und versuchte, die Leviplattform schneller werden zu lassen, aber ein tronisches Sicherheitsprogramm limitierte ihre Geschwindigkeit.
Eine knappe Minute später erreichten sie das erste Becken, in dem von Millennia stammende Zyoten gezüchtet wurden. Die braunrote Färbung des warmen Wassers wies darauf hin, dass die einzelligen Organismen fast das Stadium erreicht hatten, das es
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