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Kantaki 04 - Feuervögel (Graken-Trilogie 1)

Kantaki 04 - Feuervögel (Graken-Trilogie 1)

Titel: Kantaki 04 - Feuervögel (Graken-Trilogie 1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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verstand. Und es passierte nicht zum ersten Mal, dass er auf diese Weise empfand. Manchmal, wenn er besonderen mentalen und emotionalen Belastungen ausgesetzt war, regte sich etwas in ihm, das sonst schlief, und in der vergangenen Nacht, bei der Konfrontation mit Norene, war es richtig erwacht. Was auch immer es sein mochte: Es hatte ihm die Kraft gegeben, eine Großmeisterin zu überwältigen.
    Als Dominiks Aufmerksamkeit aus dem eigenen Innern zur Außenwelt zurückkehrte, fand er sich an einem im wahrsten Sinne des Wortes schmerzlich vertrauten Ort wieder. Um ihn herum ragten dunkle, unregelmäßig geformte Wände auf, wie die einer Höhle, und die Symbole darin bildeten Fünfergruppen. Fünf Nischen enthielten Finsternis, schwarz wie die Nacht, und schwarz war auch der Quader in der Mitte des Raums.
    Während der vergangenen Jahre hatte Dominik irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft er den Weg des Schmerzes zum Zentrum beschritten hatte. Aber es war nur ein scheinbarer Schmerz gewesen, leicht zu ertragen und nur dort präsent, wo Norene ihn sah – Dominik hatte gelernt, ihn von sich fern zu halten.
    Als er sich diesmal dem Quader näherte, fühlte er, dass etwas anders war als sonst. Ein subliminaler Ruf schien von dem obsidianartigen Block auszugehen und lockte ihn näher, veranlasste ihn, die Hand zu heben und den Quader zu berühren, der sich daraufhin so veränderte wie beim Kontakt mit Norenes Fingern. Der schwarze Stein wurde hell und transparent. Dominik beugte sich vor, neugierig geworden, und zunächst sah er nur eine Leere, die ihm beim ersten Mal, vor fünf Jahren, grässliche Pein beschert hatte. Aber dann zeichnete sich etwas in ihr ab, eine Art Linie …
    Plötzlich wusste er, dass er nicht mehr allein war im Raum.
    »Dass du ausgerechnet hierher gekommen bist …«, sagte Norene hinter ihm.
    »Ich glaube, dies ist der richtige Ort, um alles zu klären«, erwiderte Dominik. Er sprach leicht, als lägen die Worte bereit und warteten nur darauf, dass er Gebrauch von ihnen machte. »Siehst du, Ehrenwerte? Ich brauche nicht den Weg des Schmerzes zu gehen, um das Zentrum zu erreichen. Ich bin da, ohne Schmerz, und mit meinen Gefühlen. Und du hattest Recht: Das Tal-Telas ist nicht leer.«
    Er hörte Schritte, und Norene erschien an seiner Seite, blickte ebenfalls in den transparent gewordenen Quader. Sie schien noch blasser zu werden.
    »Hast du die Tür geöffnet?«, fragte sie leise.
    Dominik verstand, ohne zu begreifen, woher die Erkenntnis kam. Hatte sein Unterbewusstsein bei dem geistigen Kontakt mit Norene Informationen aufgenommen? Oder stammte sein Wissen aus einer anderen Quelle? »Das hat es mit der Konditionierung auf sich, nicht wahr?«, sagte er, den Blick noch immer auf den Quader gerichtet. Die Linie schien zu zittern, und seltsamerweise ließ sich ihre Farbe nicht feststellen. »Dazu hast du meine eigene Kraft verwendet. Um die alte Tür fest zu verschließen. Um mich daran zu hindern, sie zu öffnen. Und nicht nur mich«, fügte er hinzu und erinnerte sich daran, dass auch Loana nicht imstande gewesen war, die alte Tür zu öffnen. »Es geht allen Schülern des Tal-Telas so, nicht wahr? Die Lehrerinnen und Meisterinnen verwenden bei jeder Schülerin einen Teil ihrer Kraft, um die alte Tür geschlossen zu halten. Warum?«
    Dominik drehte langsam den Kopf und begegnete Norenes Blick. In ihren jadegrünen Augen schienen kleine Flammen zu lodern, aber er fürchtete sich nicht davor.
    »Warum darf die Tür nicht geöffnet werden, Norene?«, fragte er. »Und was hat es mit der Zeit der Schande auf sich? Was versucht ihr zu verbergen, du und Zara?«
    »Du bist damals in der Nähe gewesen«, sagte Norene. »Als ich mit Zara sprach. Ich war mir nicht sicher, aber jetzt … Du hast uns belauscht.«
    »Ein dreizehnjähriger Junge, der nichts weiter war als ein ›dummer Schüler, der wie ein Kleinkind reagierte, wenn er nicht seinen Willen bekam‹?«, entgegnete Dominik ironisch. »Wie kann ein solch dummer Junge zwei Großmeisterinnen bei einem telepathischen Gespräch belauschen?«
    »Mir ist inzwischen klar, dass ich dich unterschätzt habe.« Norene sah wieder in den Quader und bewegte kurz die rechte Hand, woraufhin die Linie verschwand. Der Block wurde dunkel. »Die Zeit der Schande ist etwas, das sich auf keinen Fall wiederholen darf. Deshalb muss jene Tür geschlossen bleiben.«
    »Sie ist geöffnet worden«, sagte Dominik. Ein Teil von ihm war noch immer Beobachter und Zuhörer,

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