Kantaki 06 - Feuerträume (Graken-Trilogie 3)
Wahrnehmungshorizont ihres Lebens zu erweitern und sich dadurch ganz neue Erfahrungen zu erschließen – Menschen, die wachsen wollten, über die Grenzen des Organischen hinaus. Eine neue Spezies, die Mensch und Maschine miteinander vereinte, mithilfe der Zäiden …
Die Bilder strömten schneller, und Tamara nahm sie so auf, wie ein trockener Schwamm Wasser aufsaugte. Die einzelnen Bilder verschmolzen zu größeren Bildern, durch kausale Relationen miteinander verbunden. Ursache und Wirkung setzten über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg eine Kettenreaktion in Gang. Am Anfang stand eine einzelne Person, die eine Entscheidung traf, und Jahrtausende später wurde ein unheilvolles Bündnis daraus. Jene Menschen, die die Fesseln ihrer eigenen Natur abgestreift hatten, bekamen die Möglichkeit, nicht nur durch den Raum zu reisen, sondern auch durch die Zeit, und dadurch das wahre Ausmaß des Universums zu erkunden. Sie nahmen den Köder der Freiheit, ohne zu ahnen, dass sie sich dadurch neue Fesseln anlegten.
Tamara wusste um die Kausalität Bescheid. Sie kannte die Folgen und den von ihnen beschriebenen Weg in die Zukunft. Als rationale Tal-Telassi zog sie ihre eigenen Konsequenzen daraus und handelte. Von einem Augenblick zum anderen verließ sie Klykyrs Bewusstsein, kehrte ganz in ihren Körper zurück, drehte sich zu Hokonna um und schlug mit einer telekinetischen Faust zu. Gleichzeitig verursachte sie mit Hilmia einen mentalen Kurzschluss in seinem Gehirn. Adrian Hokonna, Lanze der Streitkräfte des Dutzends und einst Kämpfer in der Legion von Cerbus, hatte gerade noch Zeit genug, Tamara einen überraschten Blick zuzuwerfen. Mit einem leisen Ächzen sank er zu Boden und blieb liegen. Das Summen der Servi in seinen künstlichen Armen und Beinen verklang.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Zacharias verblüfft.
Tamara wandte sich an Erasmus. »Ich weiß, was geschehen ist und was geschehen wird. Es müssen schwierige Entscheidungen getroffen werden.«
»Wir haben Lanze Hokonna wie von Ihnen gewünscht in einem isolierten, sicheren Raum an Bord dieses Schiffes untergebracht, Ehrenwerte«, sagte Erasmus. »Aber ich muss zugeben, dass ich nicht verstehe, warum Sie eine solche Maßnahme für nötig halten.«
Außer Tamara befanden sich nicht nur Erasmus und Zacharias in dem Zimmer, sondern auch einige andere silberne Zäiden, Erasmus so ähnlich, dass Tamara ganz genau hinsehen musste, um kleine Unterschiede zu erkennen. Hinzu kam Zäus, Vater der Maschinenzivilisationen, wie Erasmus ihn genannt hatte. Wie alle anderen saß er an dem runden Tisch, der vermutlich nur existierte, um den beiden Menschen ein Gefühl von Vertrautheit zu vermitteln. Auf der rechten Seite gewährte ein großes, gewölbtes Fenster Blick ins All. Sechs mehrere Kilometer durchmessende zäidische Schiffe drifteten etwa tausend Lichtjahre vom Orion-Arm der Milchstraße entfernt durchs interstellare All, umgeben von einer gemeinsam erzeugten energetischen Schutzblase, die für temporale Transfers eine undurchdringliche Barriere darstellte.
»Die Angreifer aus der Zukunft sind das Ergebnis der Zusammenarbeit von Menschen und Maschinenzivilisationen«, sagte Tamara und kam ohne Umschweife zum Kern der Sache. »Es wird eine Synthese stattfinden, die in gewisser Weise bereits begonnen hat. Menschen, die mit Prothesen zu Ihnen kommen, weil sie sich von Ihrer Technik Besserung erhoffen …«
»Menschen wie Hokonna?«, fragte Zäus mit erstaunlich sanft klingender Stimme.
»Er wird Sie bitten, ihn zu einem ›besseren‹ Menschen zu machen, und Sie werden ihm diesen Wunsch erfüllen. Das ist der Anfang. Damit beginnt alles. Seine Initiative gibt den Ausschlag. Andere folgen seinem Beispiel, und die Maschinenzivilisationen sind gern bereit, den Kriegsversehrten und Kranken zu helfen, gibt dies ihnen doch Gelegenheit, mehr über das biologische Leben zu erfahren. Eine erste Generation kybernetischer Menschen entsteht im Schoß der Zäiden, und ihr folgen weitere. Irgendwann trennen sich diese Menschen von den Maschinenzivilisationen und entwickeln sich allein und unabhängig weiter. Und dann begegnen sie einigen Temporalen, die den Zeitkrieg überlebten.«
»Zeitkrieg?«, fragte Zacharias, und Tamara dachte an die beiden Großen Lücken und das verlorene Wissen. Sie selbst wusste nur deshalb vom Zeitkrieg, weil die alten Archive von Millennia versteckte Informationen darüber enthielten. Sie berichtete vom Konflikt zwischen Kantaki und
Weitere Kostenlose Bücher