Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
sowohl die Familien- als auch die Sozialpolitik soll ja eigentlich für Angstfreiheit sorgen: Wenn in meinem Leben etwas richtig schiefgeht – oder wenn ich viele Kinder habe, was mich viel Zeit und Geld kostet –, dann teilt die Gesellschaft mit mir das Risiko. Tatsächlich aber nehmen Angst und Angsterkrankungen in Deutschland eher zu, obwohl die Ausgaben für den Sozialstaat gewachsen sind. Zugleich hören wir aber ständig: Der Sozialstaat ist so nicht mehr bezahlbar. Er muss, er soll, er wird reformiert werden. Nur wie? Da gibt es die verschiedensten Ideen und Modelle.
Oft diskutiert wird das sogenannte »Bürgergeld«. In der Theorie ist es ganz einfach. Jeder, vom Baby bis zum Greis, bekommt monatlich eine feste Summe, irgendwas zwischen 250 Euro (das wäre sehr wenig) bis 1800 Euro (das wäre eine ganze Menge). Alle anderen Sozialleistungen werden dafür gestrichen. Es gibt keine Rente, keine Sozialhilfe, kein Arbeitslosengeld, kein Kindergeld usw.
Die Befürworter sagen, das koste nicht etwa mehr als heute, sondern spare sogar Geld und Aufwand, immerhin zahlen derzeit knapp 40 verschiedene Behörden über 150 verschiedene Sozialleistungen aus. Die Gesamtsumme der Sozialleistungen liegt heute bei nahezu 800 Milliarden Euro. Wenn man das mal grob umrechnet, kommt man schon jetzt auf knapp 1000 Euro monatlich pro Bundesbürger. Der Gedanke, das einfach jedem auszuzahlen, ohne großen Verwaltungsaufwand, hat seinen Charme. Wer nicht (mehr) arbeitet, ist zumindest mit dem Nötigsten versorgt, und wer mehr will, soll gucken, wie er glücklich wird. Solche Modelle laufen unter unterschiedlichen Namen: »Bürgergeld«, »bedingungslose Grundsicherung«, »negative Einkommensteuer« oder »social flat«.
Meist soll bei der Gelegenheit auch gleich das Steuerrecht reformiert werden, ebenfalls zu einer einfachen Einheitssteuer von zum Beispiel 15 Prozent für alle und alles. Viele dieser Vorschläge gehen zurück auf den US -Ökonomen und Nobelpreisträger Milton Friedman. Inzwischen gibt es viele neue Varianten, auch solche, bei denen es doch eine Bedürftigkeitsprüfung gibt und nicht einfach jedem ohne Ansehen der Person Geld überwiesen wird. Interessant ist, dass solche Modelle über alle Parteien hinweg diskutiert werden, in der FDP genauso wie in der Linkspartei. Natürlich ist die Ausgestaltung dann jeweils eine andere.
Vorteil: In der Verwaltung würden massiv Kosten eingespart, weil man nicht mehr herausfinden müsste, wer wie bedürftig ist. Der Millionär bekäme die Grundsicherung genauso ausgezahlt wie der Arbeitslose. Und es gibt nicht mehr zig verschiedene Sozialleistungen, die alle mit großem Bürokratieaufwand verbunden sind. All das Behördenpersonal, das dann nicht mehr gebraucht wird! Nachteil: Es entsteht schnell ein Ungerechtigkeitsempfinden. Auch Millionäre bekommen ja jeden Monat 800 Euro Grundsicherung ausgezahlt – hallo? Echt jetzt? Ökonomisch wäre das zwar effizient, aber wie vermittelt man das politisch? Dass es das höhere Arbeitslosengeld seit den Agenda-Reformen nur noch maximal zwei Jahre gibt und danach nur noch das einheitliche niedrige Arbeitslosengeld II, wird schon jetzt von vielen als extrem bitter empfunden. Da hat man jahrelang so viel eingezahlt und wird am Ende nicht viel besser behandelt als andere, die viel weniger oder viel kürzer gezahlt haben! Damit ist man also beim gleichen Problem, das sich bei einer Einheitssteuer ergibt: Wie können Steuern möglichst gerecht sein? Immerhin gilt bei uns heute noch: Wer hohe Rentenbeiträge zahlt, kriegt später mehr Rente. Das finden die meisten Leute fair. Fragt sich nur, wie lange das noch hält. Mit der gesetzlichen Rente allein wird man in zwanzig Jahren wohl nicht mehr froh. Das war mal anders. Doch diese Sicherheit ist weg – auch wenn viele Bürger gern die Augen davor verschließen oder gar nicht wissen, wie sie sich dagegen absichern sollen. Eine zusätzliche private Rentenve rsicherung muss man sich erst mal leisten können. Schon heute gibt es erschreckend viele Senioren, die so wenig Rente haben, dass sie zusätzlich Sozialhilfe benötigen, und das, obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet haben. Und immer mehr Rentner halten sich mit zusätzlichen Minijobs über Wasser, selbst wenn sie schon weit über 70 Jahre alt sind. Ihren »Ruhestand« hatten sie sich anders vorgestellt.
Wann lohnt es sich, arbeiten zu gehen?
Ein anderes Argument gegen die einheitliche Grundsicherung für alle: Wenn alle automatisch genug
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