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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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Geld zum Leben erhielten, dann ginge ja vielleicht keiner mehr arbeiten. Und wenn keiner mehr arbeitet, ist ganz schnell kein Geld mehr für die Auszahlung der Grundsicherung da! Zumindest die unangenehmen, schlecht bezahlten Jobs würde vielleicht wirklich keiner mehr machen. Schon heute ist es in unserem Sozialsystem so, dass es sich manchmal finanziell kaum lohnt, arbeiten zu gehen. Es gibt tatsächlich Fälle, wo Leute für 40 Stunden Arbeit die Woche nur 100 Euro mehr im Monat bekommen, als wenn sie zu Hause bleiben und von der Kombination aus Arbeitslosengeld, Kindergeld, Sozialhilfe und Wohngeld leben. Das ist dann die viel zitierte »soziale Hängematte«, weil manche Menschen sich mit dieser Situation gern arrangieren, statt einen Job zu suchen. Und da jeder innerhalb der Europäischen Union wohnen kann, wo er will, ist es sogar möglich, sich von den deutschen Sozialleistungen in Spanien die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen, statt daheim zu arbeiten. Dem entgegen steht, dass es nicht besonders angenehm ist, von einer geringen Grundsicherung zu leben, auch nicht unter Spaniens Sonne. Wer eine Chance sieht, seinen Lebensstandard deutlich zu erhöhen, wird das meist auch tun. Genau darin liegt die Crux: Man muss eine Grundsicherung finden, die ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Sie darf aber nicht so hoch sein, dass für große Bevölkerungsgruppen der Anreiz zur Jobsuche entfällt. Und so ist man beim Bürgergeld im Prinzip schnell bei genau dem gleichen Problem angelangt, das es schon bei den heute bestehenden Sozialleistungen gibt. Es gibt andererseits erstaunlich viele Menschen, die jeden Tag aus dem Haus gehen und arbeiten, obwohl sie sich wirtschaftlich kaum schlechter stellen würden, wenn sie zu Hause auf dem Sofa sitzen blieben. Das kann eine Gesellschaft nicht einfach so hinnehmen, damit muss sie sich befassen. Sei es, dass man dafür eintritt, die Löhne der Arbeitenden zu erhöhen. Sei es, dass man hinterfragt, wie viel die Nicht-Arbeitenden von der Allgemeinheit beziehen.
    Auch deshalb wurden viele der Regelungen erlassen, die als »Hartz-Gesetze« oder »Agenda 2010« bekannt sind. Im Jahr 2003 setzte SPD -Kanzler Gerhard Schröder diese Reformen durch. Es war eine der größten Sozialstaatsreformen in der Bundesrepublik, und die Widerstände waren gewaltig. Plötzlich gab es hierzulande wieder Montagsdemonstrationen! Um es polemisch zu sagen: Helmut Kohl hatte sich das nicht getraut. Nun war es ausgerechnet ein Sozialdemokrat, der solche massiven Kürzungen rechtfertigen musste. Die Regelungen, mit denen Arbeitsmarkt und Sozialleistungen neu gestaltet wurden, entwarf eine Expertengruppe unter der Leitung von Peter Hartz, der damals ein wichtiger Manager beim VW -Konzern war. Darum nennt man sie »Hartz-Gesetze«. Das bekannteste betrifft die Sozialhilfe, die heute »Arbeitslosengeld II « heißt und meist »Hartz IV « genannt wird. Sie beträgt für jemanden, der alleine lebt, 382 Euro. Wenn man Kinder hat, kriegt man mehr, außerdem kommt noch Wohngeld hinzu. Eine Hartz- IV -Familie mit zwei Kindern kann so über 2000 Euro Zuschüsse im Monat erhalten. Aber mit vier Personen muss man damit sehr wohl jeden Cent umdrehen. Um den gleichen Betrag mit Arbeit einzunehmen, bräuchten die Eltern einen Monatslohn von mindestens 2800 Euro brutto; in sehr vielen Berufen verdient man deutlich weniger.
    Wer »Hartz IV « bezieht, kann zu einem sogenannten »Ein-Euro-Job« verpflichtet werden, in dem man aber nicht etwa nur einen Euro Gehalt bekommt, sondern mindestens einen Euro pro Arbeitsstunde extra. Das soll ein neuer Start ins Arbeitsleben sein. Allerdings werden Ein-Euro-Jobber nur sehr selten zum vollen Lohn übernommen – lieber holt sich der Arbeitgeber einen neuen bezuschussten Hartz- IV -Empfänger, auch wenn er mit dem vorherigen zufrieden war.
    Wenn trotz Arbeit das Geld nicht reicht
    Weil es jetzt weniger Sozialhilfe gibt als früher, strengen manche Menschen sich tatsächlich mehr an, einen neuen Job zu finden, beziehungsweise akzeptieren auch Arbeiten, auf die sie eigentlich herzlich wenig Lust haben. Auch deshalb, meinen Wirtschaftsfachleute, seien die Arbeitslosenzahlen deutlich zurückgegangen. Das ist allerdings auch ein statistisches Phänomen. Der »Niedriglohnsektor« ist größer geworden. Und wer nicht arbeitslos gemeldet ist, weil er einen Job hat und sei der noch so mies bezahlt, der landet auch nicht in der Statistik. Ob man von dem Job leben kann, steht auf einem

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