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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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Zumal innerhalb der westlichen Industriestaaten jene Länder, in denen viele Frauen arbeiten (die Frauenerwerbsquote also hoch ist), vielfach auch die höhere Geburtenrate aufweisen. In Ländern, in denen es Frauen erleichtert wird, als Mütter berufstätig zu bleiben, fällt ihnen offenbar auch die Entscheidung für Kinder leichter. In Skandinavien und in Frankreich etwa ist die Erwerbsquote der Frauen höher als bei uns, und es werden mehr Kinder geboren als in Deutschland. Es gibt da aber auch Gegenbeispiele und sich widersprechende Statistiken. Die höheren Geburtenraten in Frankreich sind zum Teil auch auf die hohen Geburtenraten in bestimmten gesellschaftlichen (Migranten-)Gruppen zurückzuführen. So ganz eindeutig sind diese Zusammenhänge also nicht, und oft spielen auch gesellschaftliche Traditionen und Ansichten eine nicht zu unterschätzende Rolle. In Frankreich werden Familien zwar stark gefördert, vor allem wenn sie mehr als ein Kind haben. Dass die Geburtenrate höher liegt, könnte aber auch damit zusammenhängen, dass es in Frankreich schon viel länger viel selbstverständlicher ist, dass Mütter weiter ihrem Beruf nachgehen. Den Begriff »Rabenmutter« kennt man dort gar nicht. Die Krippe (la crèche) gibt es schon lange, ähnlich wie in der DDR , während es in Westdeutschland bis weit in die späten neunziger Jahre hinein unüblich war, Kinder unter drei Jahren tagsüber abzugeben. »Krippen« waren gesellschaftlich negativ besetzt, bürgerlich verheiratete Mütter gaben ihre Babys nicht ab, schon gar nicht in staatliche Hände. Die DDR , in der der Staat auch aus politischen Gründen früh nach den Kleinsten griff, erschien abschreckend. Vor dem Hintergrund dieser Historie gibt es bis heute im Westen der Republik einen größeren Nachholbedarf an Krippenplätzen als in Ostdeutschland. Mütter, die aus Berlin nach Nordrhein-Westfalen umziehen, wissen ein Lied davon zu singen. Am Ende bleibt die Erkenntnis: Familienpolitik muss man wollen, und man kann damit verschiedene gesellschaftliche Anreize setzen. Aber als einfache Rechnung (mehr Geld = mehr Kinder) funktioniert sie nicht.

Nicht nur die Rente ist unsicher
    »Die Rente ist sicher«, warb Arbeitsminister Norbert Blüm ( CDU ) in den Achtzigern. Das hat sich so leider als falsch erwiesen. Die heute ausgezahlten Renten sind die Beiträge der im Augenblick arbeitenden Bevölkerung – und deren Renten werden in Zukunft wieder von der nächsten Generation gezahlt. Die Rente ist insofern nur bedingt eine Versicherung, in der ich persönlich etwas für mich anspare. Sie ist eher eine sozialpolitische Steuer: Das, was ich heute einzahle, wird umgehend an die heutigen Rentner ausgezahlt. Eine halbwegs berechenbare Verzinsung wie bei privaten Lebensversicherungen findet so nicht statt. Ich kann nur hoffen, dass der Staat mir in der Zukunft eine ordentliche Rente zahlt. Das geht gut, solange es mehr Arbeitnehmer als Rentner gibt. Werden aber immer weniger Kinder geboren … dann wackelt das Rentensystem. Und nicht nur das! Tatsächlich ist die Zahl derer, die Geld verdienen und Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen, stetig kleiner geworden im Vergleich zu denen, die nicht arbeiten, sondern vom Staat Geld bekommen, also Rentner, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger usw. Es wird deshalb immer schwerer, den Sozialstaat zu finanzieren. Den heutigen Rentnern sehr viel wegzunehmen, traut sich die Politik allerdings kaum. Sie sind mit Abstand die größte Wählergruppe, daher achten alle Politiker darauf, dass es den aktuellen Rentnern nicht zu schlecht geht. Nur wie lange funktioniert das noch? Den heutigen Politikern muss das theoretisch nicht wichtig sein; in zwanzig Jahren stehen sie selbst ja nicht mehr zur Wahl. Aber so verantwortungslos denken auch Politiker nicht – und die Probleme sind längst da. An allen Ecken und Enden fehlt spürbar Geld in den Kassen. Oder wird es vielleicht nur falsch verteilt?
    Das gilt auch für das Gesundheitssystem – ein Riesenthema, das ich hier nur anreißen will, sonst sind wir in 300 Seiten immer noch bei Krankenversicherungen, Pharma-Lobby und Positivlisten. Ehrlich gesagt ist mir das Gesundheitsthema auch als Journalistin ausgesprochen unangenehm. Interviews mit Gesundheitsministern zu führen, ist quasi die Höchststrafe … weil ich diese komplexen Strukturen selbst nicht gänzlich durchschaue, auch nicht als Volkswirtin, und es extrem schwierig finde, mich für diesen oder jenen Reformvorschlag zu

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