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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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schwieriger, souverän aufzutreten, ohne sich den Vorwurf einzuhandeln, sie betrieben Wahlkampf. Aber auch Angela Merkel wollte sich bei der erneuten Flut im Wahlkampf-Sommer 2013 anscheinend von den sogenannten Gummistiefel-Terminen abgrenzen: Sie trug bei ihren Besuchen in den Hochwassergebieten nur robuste Halbschuhe und einen Parka, keine Gummistiefel, keinen Ostfriesennerz. Zufall war das vermutlich nicht. Sie wird sich schon überlegt haben, was sie anzieht …
    Zeigen die Medien, was das Volk will?
    Ähnlich beliebt wie Gummistiefel sind bei Politikern übrigens Fußballschuhe. Das allerdings nur bei männlichen Politikern, die auch einigermaßen schießen und dribbeln können. Aber selbstverständlich sucht auch Angela Merkel die Nähe zu Fußballspielern. Der Volkssport ist nun mal eine tolle Gelegenheit, sich volksnah zu zeigen. Als Merkel während der Fußball-WM 2006 groß im Bild zu sehen war, wie sie außer sich vor Freude über ein deutsches Tor aufsprang und laut jubelte, hat sie auf jeden Fall viele Sympathiepunkte gesammelt. Auch als sie im April 2008 mit tiefem Ausschnitt zur Eröffnung der Oper in Oslo erschien, gingen die Bilder um die Welt. Hatte sie sich absichtlich extra-weiblich gestylt, um ihr eher biederes Image aufzuhübschen, oder war es Zufall? Wie auch immer, ein paar Tage lang wurde über Merkels Kleiderwahl diskutiert, was sie sehr menschlich (und fraulich) wirken ließ.
    Unklar ist allerdings, in welcher Richtung all diese Mechanismen funktionieren. Manche Forscher sind der Meinung, die Medien würden kontrollieren, mit welchen Themen sich ihre Leser/Zuschauer beschäftigen. Andere glauben, die Medieninhalte spiegelten die Themen wider, mit denen sich das Volk auseinandersetzt. Schließlich fragen sich Journalisten ständig, was ihre Leser oder Zuschauer interessiert, sie wollen ja gelesen und gesehen werden. Insofern beeinflussen Medien und Bevölkerung sich gegenseitig. Auch die Konsequenzen des Agenda Setting sind umstritten: Mehr Berichterstattung kann zu einer überdurchschnittlich schnellen und dann anhaltenden Konzentration auf das neue Thema führen – oder zu einer Übersättigung und desinteressiertem Abwinken. Auch als einzelner Politiker muss man durchaus aufpassen, dass man nicht »überdosiert«. Und sich nie darauf verlassen, dass ein bestimmtes Medium dauerhaft freundlich berichtet, weil man so gut miteinander kann. Christian Wulff hatte recht enge Kontakte zur mächtigen Bild -Zeitung und das lief lange gut. Beide profitierten eine Weile davon. Bild präsentierte die neue junge Frau in seinem Leben mit exklusiven Fotos (davon hatten die Zeitungsleute was) und berichtete sehr freundlich über das neue Glück anstatt ihm die Scheidung von der Ex-Frau vorzuwerfen (davon profitierte Wulff). Ein Deal auf Gegenseitigkeit. Deshalb aber auf Schonung zu hoffen, als es dann nicht mehr um schöne Fotos, sondern um politische Vorwürfe ging, wäre naiv. Am Ende war die Bild -Zeitung gegenüber Wulff besonders hart und trug zu seinem Sturz erheblich bei.
    Der »Medienkanzler« und TV -freundliche Inszenierungskünstler Gerhard Schröder hat mal scherzhaft gesagt, zum Regieren brauche man nur Bild , BamS (Bild am Sonntag) und »Glotze«. Und da ist schon was dran. Denn das sind die Medien, die die meisten Menschen erreichen. Die Bild -Zeitung wird wahrscheinlich von über 10 Millionen Menschen gelesen. Eine Nachrichtensendung wie die Tagesschau um 20.00 Uhr schauen mindestens 5 Millionen Menschen, das heute-journal am späteren Abend im Schnitt zwischen 3 und 4 Millionen.
    Die Doktoren für den richtigen Dreh
    Echte Spezialisten im Agenda Setting sind die sogenannten »Spin Doctors«. Das sind PR -Fachleute, zum Beispiel die Pressesprecher der Politiker, deren Aufgabe darin besteht, eine bestimmte Politik gut zu verkaufen. Dabei geht es nicht nur darum, dass ein Thema überhaupt auftaucht, sondern auch, was inhaltlich dazu berichtet wird. In den USA gibt es bereits große PR -Agenturen, die sich auf das »Spinning« spezialisieren. In Deutschland ist der Begriff nicht so verbreitet, und das Ganze wird auch nicht so offenkundig betrieben, aber natürlich gibt es sie. Die engen Medienberater hoher Politiker sind alle Spin-Doktoren, auch wenn sie in Deutschland seltener ausdrücklich so genannt werden.
    Man vermutet, dass die Bezeichnung »Spin Doctor« entweder auf to spin a yarn zurückgeht, was in etwa bedeutet: einen vom Pferd erzählen. Oder auf die amerikanischen

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