Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
Vom Netzwerk:
aus, denn das Publikum, mit dem sie via Massenmedien kommunizieren, unterscheidet nicht zwischen privatem und öffentlichem Zuhören . Jedenfalls nicht, wenn man mit der Chips-Tüte auf dem Fernsehsofa sitzt.
    Und da geht es nicht nur um die berühmten und häufig zitierten Polit-Sprech-Euphemismen. Diese Standard-Vokabeln, die beschönigen und unliebsame Assoziationen vermeiden. Die vielen Arbeitskräfte etwa, die sich immer wieder darauf freuen, endlich freigesetzt zu werden. Blöd nur, wenn sie sich dann doch um eine »Anschlussverwendung« bemühen müssen, wie Philip Rösler von der FDP empfahl.
    Pimp your thoughts!
    Was mich immer wieder irritiert, ist diese antiemotionale, selbstdistanzierte und fremdwortlastige Gremiensprache. Politiker mögen, um beispielsweise SPD -Generalsekretärin Andrea Nahles zu zitieren, ein »durch institutionalisierte Kooperation begründetes Vertrauensnetz« schätzen. Vertrauen bei der Bevölkerung gewinnt man mit einer solchen Sprache eher nicht.
    Ich persönlich bin der Überzeugung: Wer sich nicht klar ausdrückt, hat entweder keinen klaren Gedanken beziehungsweise die komplexe Materie selbst nicht richtig verstanden (das ist gern auch im Journalismus anzutreffen), will problematische Inhalte verschleiern oder Banales aufpumpen (neusprachlich hieße das: »pimp your thoughts«). Ein Phänomen, das übrigens auch in der akademischen Welt anzutreffen ist. Klar, jedes Fachpublikum hat nun mal seine eigenen Insider-Vokabeln und darf sie ja auch haben. Auch die elitäre Fachsprache hat ihre Berechtigung und ihren Platz im deutschen Sprachraum. Die Frage ist nur, wie weit wir es hierzulande treiben mit diesen linguistischen Parallelgesellschaften. Warum hingegen hören die Leute dem aktuellen Bundespräsidenten Joachim Gauck so gerne zu? Was macht seine Rhetorik aus? Es sind nach meiner Beobachtung drei Dinge: Erstens, die Emotion, also die Verbindung des Emotionalen (Gefühl) mit dem Kognitiven (Verstand), was generell eine gute Idee ist, weil das Emotionale ja als Verstärker und Türöffner für das Sachlich-Inhaltliche wirken kann. Zweitens die Anekdote. Das Erzählen. Das Beispielhafte, das für das Allgemeine steht. Und drittens: Er verwendet fast durchgehend die Ich-Form. Er versteckt sich nie hinter dem selbstdistanzierten Neutrum »man«, das »man« so oft hört, sobald Menschen offiziell werden. Wohin man blickt und hört: Überall sind die »mans« unterwegs. Das »Ich« trauen sich viele nicht.
    Beispielhaft war insofern ein Auftritt Gaucks direkt nach seiner Wahl in der ZDF -Sendung Was nun?: Da wurde ihm die Frage gestellt, warum Frau Merkel ihn nicht wollte. Heikle Frage, da kann man schnell was Falsches sagen. Seine Antwort: » Ich weiß es nicht. Ich kann ihr auch nicht hinter die Stirn schauen. Wir haben uns aber in die Augen gesehen. Und ich weiß: Wir können uns vertrauen.« Mit diesem Rhetorikstil, der allein durch die Wahl des Personalpronomens »ich« Offenheit vermittelt, schaffte er es im Laufe des Gesprächs sogar, noch unangenehmere Fragen zu umschiffen.
    Wenn wir davon ausgehen, dass Glaubwürdigkeit die wichtigste Währung jedes Politikers ist, dann trauen sich Politiker, finde ich, viel zu selten, Emotionen zu formulieren. Beispiel Angela Merkel. Typisches Zitat von ihr: »Die Wiedervereinigung ist gelingbar und gelungen.« Da wünscht man sich fast Kohls blühende Landschaften zurück! Was eine sehr schöne Formulierung war, sehr plakativ, fast poetisch. Das Problem war nur: Sie kam von Kohl. Und: Die blühenden Landschaften entstanden nicht innerhalb von zwölf Monaten – und längere Zeiträume sind in unserer medialen Welt ja generell nicht vorgesehen.
    Normal-Sprech oder Gremien-Sprech
    Schlimmer wird diese krampfhafte Versachlichung, wenn es um Themen geht, die Angst machen. Wenn es um Leben und Tod geht. Als amerikanische Militärs in Afghanistan Dörfer bombardiert und dabei auch Frauen und Kinder getötet hatten, sagte der damals amtierende CDU -Verteidigungsminister Franz-Josef Jung in einem Fernsehinterview: »Bei Kampfhandlungen ist darauf zu achten, dass die Zivilbevölkerung nicht einbezogen wird, weil das kontraproduktiv ist.« Diese trockene Sprache lässt die Dinge vielleicht weniger blutig erscheinen, als sie sind. Aber sie überzeugt nicht. Kein Wunder, dass sein Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg ( CSU ) allein dafür bejubelt wurde, dass er das Wort »Krieg« in den Mund nahm.
    Die oft eigenartig entrückte Politikersprache

Weitere Kostenlose Bücher