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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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Wahlkampfberater, die bei TV -Duellen hinter der Bühne in einem »spin alley« genannten Bereich versuchten, allem einen positiven Dreh (engl. spin ) zu geben. Jedenfalls kümmern die politischen PR -Doktoren sich intensiv um ihre »Patienten«, also um Politiker und Themen, die sie der Öffentlichkeit in der »richtigen« Sichtweise präsentieren möchten. Wenn die Politik ein größeres Reformvorhaben plant, dann gibt es im Vorfeld zum Beispiel zahlreiche Hintergrundgespräche mit Journalisten, die von der Richtigkeit und Wichtigkeit dieser Pläne überzeugt werden sollen.
    Ein berüchtigter amerikanischer Spin-Doktor war Karl Rove, der Berater des US -Präsidenten George W. Bush. Bush sagte nach seinem Wahlsieg 2004, Rove sei der »Architekt« dieses Sieges gewesen. Dazu gehörte zum Beispiel auch, dass Rove den Medienleuten geschickt einflüsterte, Gegenkandidat John Kerry sei wankelmütig und unehrlich. Auf Rove geht wohl auch die Geschichte zurück, dass Bushs Konkurrent ein Hochstapler sei. John Kerrys Heldengeschichten aus dem Vietnam-Krieg wären gar nicht wahr, seine Tapferkeits-Orden habe er zu Unrecht bekommen. Das ist zwar vermutlich alles reine Verleumdung, denn John Kerry war wohl in den siebziger Jahren tatsächlich ein tapferer Soldat im Vietman-Krieg. Im Gegensatz zu George Bush, der sich als junger Mann um den Militärdienst weitgehend gedrückt hatte. Davon hat sein Spin Doctor Karl Rove aber geschickt abgelenkt. Alle redeten nur noch darüber, was denn nun wirklich mit John Kerry in Vietnam gewesen ist. Nachweisen konnte man Rove das Ganze übrigens nie, aber kein Insider in Washington hat je daran gezweifelt, woher die Gerüchte über John Kerry kamen. Ja, US -Wahlkämpfe sind noch um einiges brutaler als die in Deutschland!
    Hierzulande geben Politiker selten zu, dass es Spin Doktoren überhaupt gibt. Nur Kurt Beck sprach sogar öffentlich davon, als er sich im September 2008 nach seinem Rücktritt als SPD -Chef über den »Spin« beschwerte, den er in den Medien gesehen habe. Das sei der Grund für seinen Rücktritt gewesen. Als nämlich bekannt wurde, dass nicht Beck Kanzlerkandidat der SPD werden würde, sondern Frank-Walter Steinmeier, ging es auch um die Frage: Wessen Idee war das? Kurt Beck war der Ansicht, er habe seinem Parteifreund die Kandidatur großzügig angeboten (»Mach du das, du bist dafür besser geeignet«). Zumindest sollte das die öffentliche Darstellung sein. Doch im Fernsehen und im Nachrichtenmagazin Der Spiegel erschien eine andere Version: Steinmeier habe die Kanzlerkandidatur von Beck eingefordert (»Du kannst es nicht, lass mich das machen«). Beck war stinksauer über diese Berichte und meinte, dieser »Dreh« (Spin) käme von Spin-Doktoren aus dem Umfeld seiner Konkurrenten in der SPD .
    Ein Spin Doctor ist im Grunde nichts anderes als der Leiter einer Werbeagentur in Sachen Politik. Jeder gute Redenschreiber hat den gleichen Job: eine verfahrene Situation klasse aussehen zu lassen. Wobei man den Einsatz dieser Mittel natürlich auch übertreiben kann. Am Nachmittag nach den Anschlägen auf das World Trade Center 2001 verschickte Jo Moore, Pressesprecherin der britischen Regierung, eine interne Mail an ihre Kollegen: »Heute ist ein guter Tag, um jede unangenehme Nachricht untergehen zu lassen, die wir rausschicken müssen.« Das war furchtbar zynisch und schadete der Regierung sehr, als es rauskam. Die Idee dahinter ist aber durchaus verbreitet. Ist die Öffentlichkeit mit einem großen Thema »beschäftigt«, lassen sich andere strittige Themen quasi unbemerkt durchsetzen. Beispiel: Im Juni 2012 verabschiedete der Bundestag vor ziemlich leeren Rängen ein neues Meldegesetz, nach dem Städte die Daten ihrer Einwohner an Firmen verkaufen dürfen. Natürlich ahnten die Parlamen tarier, dass die meisten Bürger von der vielen Werbung in ihren Briefkästen eh schon die Nase voll haben und es nicht okay finden, wenn auch noch die Einwohnermeldeämter ihre Daten einfach so weitergeben. Doch niemand regte sich auf, denn die ganze Republik saß an dem Tag vorm Fernseher und verfolgte das EM -Halbfinale zwischen Deutschland und Italien. Der Trick hat letztlich aber doch nicht gut funktioniert. Es gab nachträglich einen Aufstand der Datenschützer, und die Bevölkerung fühlte sich noch mehr veräppelt, als sie die geschickte Terminierung erkannte. Das Meldegesetz kam am Ende in abgeänderter Form.
    Polit-Sprech: Wie viel Wahrheit darf’s denn sein?
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