Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
abzusprechen, beeinflussen wir Journalisten uns also wechselseitig. Mit »Verschwörung« hat das nichts zu tun – man beobachtet sich gegenseitig, man liest und sieht sich, wie normale Bürger das auch tun, und natürlich schaukelt man sich da manchmal auch gegenseitig hoch. Eine beliebte Formulierung in Redaktionskonferenzen ist: »Wie können wir das Thema weiterdrehen?« Heißt: nach neuen Aspekten suchen, nach neuen Blickwinkeln, nach neuen Fakten. Das ist die legitime Aufgabe von Journalisten. Dass das gelegentlich zu komischen Übertreibungen und krampfhaft konstruierten »Weiterdrehs« führen kann, ist allerdings unübersehbar. Als der FDP -Politiker Rainer Brüderle einer Journalistin vom Stern bei einer spätabendlichen Unterhaltung am Rande eines Parteitags ungehörig blöd kam, in einem respektlosen Altherren-Jargon, löste das eine bundesweite Debatte über Sexismus im Allgemeinen und im Besonderen aus. So weit, so gut. Der Spruch von Herrn Brüderle über das Dekolleté der Kollegin war in der Tat daneben (sinngemäß: »Ihnen würde ein Dirndl auch gut stehen«) und ließ Herrn Brüderle in keinem guten Licht erscheinen. Dass die Stern- Reporterin darüber allerdings erst viel später schrieb, nämlich als Brüderle Spitzenkandidat seiner Partei wurde, offenbart einiges über die Arbeitsweise von Medien. Ein Thema ist eben erst dann ein Thema, wenn es ein Thema ist. Schräg wurde es, als Zeitungen und Fernsehsendungen in ihrer angestrengten Suche nach einem »Weiterdreh« anfingen, internationale Vergleiche über Sexismus anzustellen. Da wurden dann in »Europa«-Sendungen Berichte anmoderiert unter der Fragestellung: »Wie unterschiedlich sexistisch sind die EU -Länder?« Damit kann man Sendezeit füllen, zumal wenn nicht so viel anderes los ist in der Welt. Und so wurde der Chauvi-Spruch des FDP -Politikers immer weiter »verwurstet« (auch so ein Journalisten-Sprech), bis sich schließlich eine neue »Sau« fand, »die durchs Dorf getrieben wurde«. Man muss mit dem Politiker Brüderle deshalb kein Mitleid haben. Er hat sich diese geballte Aufmerksamkeit durchaus »verdient«, aber so richtig verhältnismäßig war diese Generaldebatte irgendwann nicht mehr.
Nur: Wer sollte dem Einhalt gebieten? Journalisten verabreden sich untereinander nicht, auch wenn ihnen das immer wieder unterstellt wird. Es gibt zu viele von uns in zu vielen Medien – wir führen keine heimlichen Telefonkonferenzen, in denen wir beschließen, diesen oder jenen Politiker mal richtig fertigzumachen. So läuft das nicht. Deshalb können sich Medien umgekehrt auch nicht wechselseitig dazu anhalten, »freundlicher« oder »fairer« zu sein. Ganz selten nur gibt es solche geheimen Verabredungen – und die gehen auf massive politische beziehungsweise behördliche Intervention zurück, etwa wenn es um Leib und Leben entführter Staatsbürger geht, wie weiter oben geschildert.
Der Politiker als »Stimmenmaximierer«
Für Politiker kommt es derweil vor allem darauf an, Botschaften zu vermitteln und an ihrem persönlichen Image zu arbeiten. Was durchaus legitim ist. Politiker sind ihrer demokratischen Funktion nach »Stimmenmaximierer«, so wie Unternehmer »Gewinnmaximierer« sind. Mit dem kleinen Unterschied, dass Unternehmen Werbeagenturen beauftragen. Politiker können das auch – nur sollten die Werber keine Journalisten sein, die für »neutrale« Medien arbeiten. Bei der Frage, wie schwer es ist, als Politiker populär zu sein, gibt es gravierende Unterschiede, je nachdem, in welchem Fachgebiet man sich bewegt. Manche politischen Ämter sind medial dankbarer als andere. Außenminister zu sein, ist zum Beispiel vergleichsweise angenehm. Man redet diplomatisch, man ist für große und wichtige Dinge (Krieg und Frieden) zuständig, ohne selbst derjenige zu sein, der Soldaten ins Ausland schickt (das muss dann der Verteidigungsminister verteidigen), und man ist ständig zu sehen, wie einem andere berühmte und mächtige Menschen höflich und respektvoll die Hand schütteln. Man muss sich als Außenminister auch nicht unbeliebt machen, indem man Steuern erhöht oder im Bundestag rumschimpft – was anderen Ministern nicht erspart bleibt. Man vertritt die Bundesrepublik nur nach außen, was mit einem gewissen Solidaritätsgefühl der Bevölkerung einhergeht (»unser Mann in Moskau«). Außenminister ist also ein sehr »telegenes« Amt, und deshalb waren alle Amtsinhaber, von Genscher über Kinkel und Fischer bis Steinmeier,
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