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Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)

Titel: Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marietta Slomka
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kennen und uns ein Urteil über seine Ansichten bilden; wir können davon ausgehen, wer für eine Partei kandidiert, vertritt ihre Positionen. Das erleichtert die Wahlentscheidung ungemein. Und es kontrolliert diejenigen, die wir wählen. Sollte ein Bundeskanzler sich urplötzlich vom Programm seiner Partei komplett abkoppeln, wären er oder sie nicht mehr lange im Kanzleramt.
    Das Parteiensystem entstand vor etwa 300 Jahren in England. Anfangs waren die Parteien nur lockere Zusammenschlüsse von Unterstützern einzelner Kandidaten. Eine richtige Struktur mit hauptberuflichen und bezahlten Mitarbeitern bildete sich erst später. Rechtlich sind Parteien meist Vereine, weil das eine gute Organisationsform für Zusammenschlüsse von vielen Leuten ist.
    Welche Funktionen die Parteien haben und an welche Regeln sie sich halten müssen, ist in Deutschland im Grundgesetz und im Parteiengesetz geregelt. Danach haben sie im Wesentlichen vier Funktionen:
Sie wirken bei der politischen Willensbildung mit;
sie vermitteln zwischen Staat und Volk;
sie beeinflussen die Regierungsbildung;
sie formulieren politische Ziele.
    Das klingt ziemlich abstrakt. Gemeint ist damit, dass Parteien den Wählern helfen, eine Wahlentscheidung zu treffen. Im Wahlkampf wirbt jede Partei mit zwei, drei Themen, die gerade besonders aktuell sind und mit denen sie sich von den anderen absetzen kann. Darüber hinaus haben alle größeren Parteien grundsätzliche Positionen zu vielen verschiedenen Sachverhalten. Diese werden im Parteiprogramm festgehalten. Außerdem wählt man natürlich auch Personen: nämlich die von den Parteien vorgeschlagenen Kandidaten. Oft sind diese Personen sogar am wichtigsten, weil viele Wähler sich ein Urteil über Personen eher zutrauen als über Programme. Die Parteien leisten dabei eine Vorauswahl unter Möchtegern-Politikern. Bevor sich jemand dem Volk zur Wahl stellt, muss er immerhin schon mal innerhalb einer Partei viele Leute von sich überzeugt haben. Parteien können einen Wahlkampf zudem leichter finanzieren als Einzelpersonen. In Deutschland werden sie dabei sogar ausdrücklich mit staatlicher Wahlkampfhilfe unterstützt, damit sie nicht nur auf private Geldgeber angewiesen sind.
    Gäbe es keine Parteien, würde bei Wahlen vermutlich der Kandidat am besten für sich werben können, der am meisten Geld oder die besten Beziehungen zu reichen Leuten hat. In einer Partei kann man auch als armer Schlucker Karriere machen, wenn man lang genug durchhält und sich durchsetzt. Gerhard Schröder zum Beispiel hat oft auf seine ärmliche Herkunft verwiesen. Ohne die SPD hätte der kleine Gerd wohl nie die Chance gehabt, Kanzler zu werden.
    Die Opposition muss regieren können
    Außerdem bieten Parteien jedem Bürger die Möglichkeit mitzumachen. Jeder kann zu einem Ortsverein oder -verband gehen, sich anhören, wie und was dort diskutiert wird, und selbst Mitglied werden. Wenn es mehrere Parteien gibt, die um die Gunst der Bürger konkurrieren, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass die Wünsche, Sorgen und Meinungen der Wähler von den Parteien aufgenommen werden und jeder sich irgendwo wiederfinden kann. Und schließlich entsteht dadurch, dass sich mehrere ernst zu nehmende Parteien zur Wahl stellen, eine echte Alternative. Es gibt Oppositionsparteien, die theoretisch jederzeit in der Lage sein sollten, die herrschende Regierungspartei abzulösen. Das ist ein extrem wichtiger Punkt. Ohne eine regierungsfähige Opposition kann die Demokratie nicht funktionieren. Nur mit kleinen Splitterparteien, die sich lediglich für ein Thema interessieren und darüber hinaus keine Fachleute haben, geht das nicht. Es ist zwar erfrischend ehrlich, wenn etwa die Piratenpartei sagt: »Zu dem Thema haben wir noch keine Meinung.« Aber klar ist auch: Wenn die Piratenpartei zum jetzigen Zeitpunkt ihrer Entwicklung von heute auf morgen ein ganzes Kabinett stellen müsste, dann hätte nicht nur sie ein Problem.
    Das Recht auf Meinungsfreiheit gilt natürlich auch für die Parteien; sie dürfen ihre Programme formulieren, wie sie wollen, und ihr Personal selbst wählen. Aber völlig frei sind sie nicht. Sie müssen die Regeln der Demokratie auch innerhalb ihrer Partei wahren, und sie dürfen keine verfassungsfeindlichen Ziele verfolgen. Wer zum Beispiel in sein Programm schreibt, dass er nach der Regierungsübernahme »alle Ausländer« rausschmeißen, die anderen Parteien ausschalten und überhaupt das ganze »System« abschaffen will,

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