Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
Sozialismus) und der im Westen aus Protest gegen die SPD gegründeten WASG (Für Arbeit & soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative). Die ostdeutsche PDS als Nachfolgepartei der DDR -Staatspartei SED entstand zwar nicht direkt aus einer Protestbewegung. Aber dass so viele DDR -Bürger sie nach der Wiedervereinigung weiter wählten, kann man durchaus als Protesthaltung sehen: als Auflehnung dagegen, dass man vom Westen komplett übernommen wird, dass plötzlich alles in der DDR schlecht gewesen sein sollte. Die PDS als Regionalpartei drückte insofern auch den Wunsch nach einer eigenen Ost-Identität in Abgrenzung zum Westen aus.
Warum müssen politische Wahlen geheim sein?
In Deutschland ist es Pflicht, bei allen politischen Wahlen geheim zu wählen. Jedenfalls als Wähler. Politiker stimmen im Parlament oder bei Parteitagen häufig auch öffentlich per Hand ab oder sogar namentlich. Doch wenn der Bürger zur Wahl gerufen wird, muss er das anonym und geheim tun. Selbst wer sein Kreuz öffentlich machen will, darf das nicht. Aber warum eigentlich? Die zur Wahl stehenden Parteien sind doch alle erlaubt, und wer nichts zu verbergen hat, braucht auch nichts zu befürchten, oder?
Im Grundgesetz wurde festgelegt, dass alle Wahlen »allgemein, frei, unmittelbar, gleich und geheim« sein müssen. »Allgemein« bedeutet, dass jeder volljährige Bundesbürger wählen darf. »Frei« heißt, dass sich jeder seine Meinung bilden und dementsprechend wählen kann. Man wird vor und während der Wahl nicht bedroht oder eingeschüchtert. Man wird übrigens auch nicht gezwungen zu wählen, was keine Selbstverständlichkeit ist. Es gibt auch Länder, in denen man eine Art Strafgebühr zahlen muss, wenn man nicht wählen geht. »Unmittelbar« sagt aus, dass die »Volksvertreter« (die Bundestagsabgeordneten) direkt vom Volk gewählt werden; sie bestimmen dann ihrerseits (also aus Wählersicht indirekt oder »mittelbar«) den Bundeskanzler. »Gleich« besagt, dass jede Stimme genauso viel zählt wie die andere. Und »geheim« muss die Wahl sein, um die Freiheit zu gewährleisten, zu wählen, wen man will.
Der wichtigste Faktor ist dabei das Wahlgeheimnis, denn nur wer geheim wählt, kann wirklich frei wählen. In der Wahlkabine wird hinter einem Vorhang der Stimmzettel vom Wähler allein ausgefüllt, gefaltet und danach in eine versiegelte Wahlurne gesteckt. Sie wird erst nach Wahlschluss geöffnet, sodass nicht mehr nachvollziehbar ist, wer wie gestimmt hat. Das Gleiche gilt heute für die elektronische Wahl (setzt aber voraus, dass sich keine Cyberkriminellen ins System hacken).
Das Geheime ist wichtiger, als man auf Anhieb denken mag. »Bei der Wahlhandlung selbst hat sich der Wähler an die zur Sicherung des Wahlgeheimnisses erlassenen Vorschriften zu halten«, heißt es vom Statistischen Bundesamt, das auch für die Durchführung der Wahlen zuständig ist. »Die Vorschriften sind zwingend und erlauben keinen Verzicht, weder seitens des Wählers noch der Wahlorgane (etwa durch Aufforderung, den Stimmzettel außerhalb der Wahlkabine anzukreuzen) oder der Wahlbehörden. Das Wahlgeheimnis duldet in diesem Verfahrensstadium keine noch so geringe Ausnahme oder Nachlässigkeit. (…) Die gesetzlichen Bestimmungen dienen nicht nur dem Schutz des einzelnen Wahlberechtigten, sondern sind auch im öffentlichen Interesse zur Gewährleistung eines geordneten Wahlverfahrens zwingend erforderlich.«
Vor oder nach der Wahl hingegen kann jeder herumerzählen, wen er wählen will oder wo er sein Kreuz gemacht hat. Das schadet nichts – denn man kann lügen und sagen, was die anderen hören wollen, in Wirklichkeit aber jemand anderen wählen. Genau das ist der Sinn der geheimen Wahl.
Wenn Diktaturen abgelöst werden und die ersten freien Abstimmungen stattfinden (wie in den letzten Jahren und Jahrzehnten in der DDR , in den Ostblockstaaten, im Irak oder in Südafrika), stellen internationale Beobachter und oft auch ausländische Soldaten sicher, dass die Wahlen tatsächlich geheim sind. Außerdem überwachen sie die Auszählung. Wahlbetrug ist nämlich einfach: Man führt eine freie und geheime Wahl durch, schmeißt die Stimmzettel hinterher unbeobachtet weg und verkündet ein Wahlergebnis nach Lust und Laune. Oder gibt den »richtigen« Wählern heimlich gleich einen ganzen Packen Wahlzettel. So läuft das häufig in Schein-Demokratien. Oder es wird Druck ausgeübt (»Wieso willst du hinter den Vorhang gehen? Hast du was zu verbergen?«),
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