Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
muss realistisch sein und eine gewisse Loyalität gegenüber dem Regierungschef zeigen. Das ist die Kabinettsdisziplin. Für einen Kanzler kann es insofern ein kluger Schachzug sein, einen starken Landespolitiker nach Berlin zu holen, an den Kabinettstisch, um ihn damit zu schwächen. »In die Kabinettsdisziplin einbinden«, nennt man das. Er oder sie kann danach nicht mehr »gegen Berlin« wettern oder lauter Sachen fordern, die nicht bezahlbar sind. Der frühere Ministerpräsident Edmund Stoiber hat das 2005 sehr schnell gemerkt und ist hastig zurück nach Bayern geflüchtet. Zuletzt hat der damalige SPD -Chef Kurt Beck es vorgezogen, Ministerpräsident in Mainz zu bleiben, statt in der Großen Koalition unter Angela Merkel Wirtschaftsminister oder Ähnliches zu werden.
Käseglocke Das sind ja diese Dinger aus Glas, unter denen man Käse luftdicht frisch hält, ohne dass es in der Küche riecht. Mit der »Berliner Käseglocke« meint man, dass Politiker und Journalisten in Berlin wie unter einer Glasglocke quasi luftdicht abgeschlossen aufeinander hocken und die Welt außerhalb kaum noch wahrnehmen. Dass viele Menschen in Deutschland sich überhaupt nicht dafür interessieren, welchen Halbsatz welcher Politiker zu welchem Medienvertreter gesagt hat, können sie sich schwer vorstellen, denn genau das ist ihre Welt. Dort verliert man gerne mal das Gefühl für die Außenwelt. Die Insider kreisen um sich selbst und spielen miteinander ein eigenes Spiel. Ein Spiel, bei dem es um Taktik und Raffinesse geht, um Andeutungen und Wortspiele, und darum, wer am meisten weiß und wer wen am besten kennt. Kluge Köpfe treffen dort aufeinander, die das Weltgeschehen analysieren und sich kenntnisreiche Streitgespräche mit schnellen Wortwechseln liefern. Wer da intellektuell und sprachlich nicht mithalten kann, wird schnell belächelt. Das ist ein bisschen grausam und macht Provinzpolitikern oftmals richtig Angst. Andererseits: Wer das große Rad drehen will, auf der Weltbühne agieren, eine Nation regieren, der muss sich auch in der Berliner Käseglocke zurechtfinden, sonst wird das nix. Alternativ wird auch vom (abgehobenen) »Berliner Raumschiff« gesprochen.
Kettenhunde loslassen Kettenhunde sind bekanntlich aggressive Hunde, die an einer Kette gehalten werden, bis man sie loslässt, damit sie jemanden beißen. Ein Politiker »lässt seine Kettenhunde los«, wenn mit seiner Billigung Parteikollegen lospoltern und über politische Gegner öffentlich böse Sachen sagen. Sie bellen und beißen sozusagen im Auftrag ihres Herrn. Solche Kettenhunde werden manchmal auch als »Wadenbeißer« bezeichnet. Das Herrchen (oder Frauchen) selbst knurrt zufrieden und bleibt während der Keilerei vornehm im Hintergrund.
Koch und Kellner Das ist ein Spruch von Kanzler Gerhard Schröder, mit dem er sein Verhältnis zu seinem Koalitionspartner und Außenminister Joschka Fischer klärte: Er, Schröder, sei der Koch (der bestimmt, was gegessen wird), und der Außenminister sei nur der Kellner (der das Gericht serviert). Er bezog das auch auf die Außenpolitik, in der herrscht nämlich Konkurrenz zwischen Außenministerium und Kanzleramt. Eine Konkurrenz, bei der ein Außenminister meist den Kürzeren zieht. Joschka Fischer, genauso ein Alphatier wie Gerhard Schröder, war über den demütigenden Spruch des Kanzlers natürlich stinksauer. Zumal er wusste, dass Schröder recht hatte: Der Kanzler ist der Mächtigere von beiden.
Mädchen Angela Merkel wurde von Kohl in ihrer Anfangsphase als Ministerin als »das Mädchen« bezeichnet. Tja. Später hat dieses »Mädchen« das Startsignal zu seiner innerparteilichen Entmachtung gegeben. Heute sitzt Merkel im Kanzleramt und wird in der Berliner Politszene »Mutti« genannt. Was durchaus nicht so respektlos gemeint sein muss, wie es vielleicht klingt. Mutti hat schließlich schon manche der quengeligen kleinen Jungs abgestraft oder gar vor die Tür gesetzt. Über Ex-Bundesumweltminister Röttgen hieß es nach dessen Rausschmiss: »Aus Muttis Klügstem wurde Muttis Dümmster.« Daraus kann man die Lehre ziehen: Unterschätze niemals anfänglich blass wirkende Politiker. Das scheinbar naive Mädchen aus dem Osten mit Rüschenbluse und Topfhaarschnitt ist heute die mächtigste Frau der Republik – und landet regelmäßig auf den ersten Plätzen der mächtigsten Frauen der Welt.
Männerfreundschaften Spätestens seitdem Angela Merkel als erste Frau Kanzlerin geworden ist, sind die sogenannten
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