Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
Bei dieser Vorstellung stehen mir allerdings die Haare zu Berge – weil ich überzeugte Europäerin bin, wie man so schön sagt. Das will ich hier ganz ausdrücklich voranstellen – Journalisten sollen natürlich möglichst distanziert und unparteiisch über Themen berichten, und das wird hoffentlich auch in diesem Kapitel so sein. Aber Journalisten sind keine neutralen Wesen, die objektiv über den Dingen stehen. Als Buchautoren schon mal gar nicht. Insofern sei klipp und klar gesagt: Ich bin für Europa und die EU . Und ich glaube auch, dass viel dafür spricht, den Euro zu behalten.
Grundsätzlich sehe ich die europäische Integration als einen Wert an sich, als etwas so Wichtiges und Gutes, dass ich dafür auch nicht jeden Cent umdrehen und alles nur nach »Effizienz-Kriterien« bewerten würde wie ein Controller. Es gibt ja diesen schönen Witz darüber, wie Unternehmensberater die Wirtschaftlichkeit eines Orchesters analysieren und als Erstes die Frage stellen: Wozu braucht ihr denn zehn Geigen, reicht nicht auch eine? Das Europäische Konzert ist vielleicht kein Liebhaberprojekt für Effizienz-Fanatiker. Ob die europäische Idee bei Ökonomen immer bestens aufgehoben ist, kann man deshalb durchaus bezweifeln – und das sage ich, obwohl ich selbst Volkswirtin bin. Natürlich kann man ein solches politisches Projekt nicht gegen jede wirtschaftliche Vernunft durchpeitschen, koste es, was es wolle. Aber die Wahrheit liegt meist im Graubereich und ist eben nicht schwarz oder weiß. Das gilt auch für den Euro, seine Segnungen und seine Probleme. Als die Einführung des Euro vorbereitet wurde, Mitte der neunziger Jahre, war ich gerade in der Schlussphase meines Studiums. Viele Finanzwissenschaftler warnten damals vor dem Euro-Konstrukt, damit haben wir Studenten uns lang und breit beschäftigt. Und man muss aus heutiger Perspektive leider sagen: Die Skeptiker haben in vielen Teilen recht behalten. Erst sah es ja so aus, als würde alles super laufen, der Euro wurde sogar zu einer richtig starken Währung (und ist es übrigens insgesamt immer noch!). Aber jetzt in der Krise bewahrheiten sich viele Warnungen.
Die interessante Frage ist, ob das im Umkehrschluss heißt, dass man die Probleme am besten löst, indem man das Kind mit dem Bade ausschüttet, also die Zeit zurückdreht, als sei nichts gewesen. Ich persönlich glaube, dass das ein Fehler wäre. Entscheidungen rückgängig zu machen, ist schwerer, als etwas neu einzuführen. Heiraten ist leichter, als sich wieder scheiden zu lassen, das hinterlässt Wunden. Und die wenigsten heiraten später denselben Partner noch mal. Ist der Euro erst mal tot, stirbt weit mehr als eine Währung. Trotzdem sollte man sich mit der Frage, ob es nicht besser wäre, den Euro wieder abzuschaffen, ernsthaft beschäftigen, und das versuche ich im Verlauf dieses Europateils auch – in den Grenzen eines Buches, das keine volkswirtschaftliche Abhandlung für ein Fachpublikum sein soll.
Mir geht es darum, Argumente gegenüberzustellen und die wichtigsten Probleme anzureißen. Probleme gibt es gerade reichlich, und doch bin ich überzeugt, dass wir Europa nicht nur aus aktuellem Frust heraus betrachten sollten. Auch wenn die europäische Politik tatsächlich manchmal sehr frustrierend sein kann.
Meine erste richtige Anstellung als frischgebackene Journalistin Ende der neunziger Jahre war ein Korrespondentenposten in Brüssel, damals für das Fernsehen der Deutschen Welle. Ich bin dort mit großer Euphorie hingekommen – schließlich hatte ich ein besonderes Interesse für Europa, hatte mich in meinem Studium intensiv mit der EU beschäftigt und es während eines Auslandsjahrs an einer englischen Uni sehr genossen, mit vielen europäischen Kommilitonen gemeinsam zu studieren (und zu feiern). Mich musste die EU also nicht überzeugen, ich war schon voll dabei. Und ich dachte auch, dass ich eine Menge wüsste über die Arbeitsweise der europäischen Institutionen.
Meine ersten Monate in Brüssel waren dann allerdings ernüchternd. Will sagen: Ich verstand erst mal nur Bahnhof. Klar, wenn man sich an einem neuen Arbeitsplatz einrichtet, muss man erst mal viel lernen. Aber dass ich bei den Pressekonferenzen im Gebäude der Europäischen Kommission so wenig verstehen würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Das war mir zuvor als journalistischem Neuling in Bonn nicht so gegangen. In Brüssel hingegen kam es mir anfangs vor, als sei ich in China: Keine Ahnung, worüber die da
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