Kanzler, Krise, Kapital: Wie Politik funktioniert (German Edition)
gemeinsam zu organisieren. Am 9. Mai 1950 lud er alle anderen westeuropäischen Länder ein, ebenfalls mitzumachen. Italien, die Niederlande, Belgien und Luxemburg waren dabei; 1951 gründeten die sechs die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl – auch »Montanunion« genannt (Montanindustrie ist ein anderes Wort für Bergbau). 1957 gründeten die Mitgliedstaaten der Montanunion eine größere und schon viel ehrgeiziger angelegte Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, kurz EWG . In den »Römischen Verträgen« vereinbarten sie eine Zusammenarbeit in der Verkehrs-, Landwirtschafts- und Sozialpolitik. Außerdem wollten sie den Handel untereinander vereinfachen, indem sie die Zölle abschafften und die Wechselkurse zwischen den verschiedenen Währungen stabilisierten. Und sie gründeten die »Euratom«, um gemeinsam von fossilen Brennstoffen auf Atomenergie umzusteigen, was man damals noch für eine geniale Sache hielt.
Das Nachkriegs-»Wirtschaftswunder« war voll in Fahrt, und den EWG -Staaten ging es stetig besser. Das war ja auch der Sinn der Sache gewesen. Weil man vermutete, bei wirtschaftlicher Stabilität würden die Staaten friedfertiger miteinander umgehen, war man sehr offen für Neuzugänge, und das Interesse war in der Tat groß: 1973 kamen Dänemark, Großbritannien und Irland dazu; 1981 Griechenland; 1986 Portugal und Spanien; 1995 Finnland, Schweden, Österreich. 1993 wurde die EWG umbenannt in EG (Europäische Gemeinschaft), und aus der Wirtschafts- wurde (auch) eine Wertegemeinschaft. Aus EG , Montanunion und Euratom wurde schließlich 1993 die Europäische Union.
Neben der wirtschaftlichen Säule, der Keimzelle der EU , entstanden weitere Säulen der gemeinsamen europäischen Politik: die »Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik« ( GASP ) und die »Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen« ( PJZS ). Friedlich zusammenzuarbeiten, als politischer Akteur in der Weltpolitik wichtiger zu sein, als jeder europäische Einzelstaat es sein kann, und auch noch wirtschaftlich zu profitieren – das machte die EU sehr attraktiv. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks meldeten sich rasch viele Bewerber, die sehr gerne zum europäischen Club dazugehören wollten. 2004 und 2007 wurden eine Reihe osteuropäischer Staaten und die (griechische) Republik Zypern in die EU aufgenommen. Im Juli 2013 wurde Kroatien aufgenommen. Damit besteht die Europäische Union jetzt aus 28 Mitgliedern.
Wer es genau wissen will: Belgien ( BE ), Bulgarien ( BG ), Dänemark ( DK ), Deutschland ( DE ), Estland ( EE ), Finnland ( FI ), Frankreich ( FR ), Griechenland ( GR ), Irland ( IE ), Italien ( IT ), Kroatien ( HR ), Lettland ( LV ), Litauen ( LT ), Luxemburg ( LU ), Malta ( MT ), Niederlande ( NL ), Österreich ( AT ), Polen ( PL ), Portugal ( PT ), Rumänien ( RO ), Schweden ( SE ), Slowakei ( SK ), Slowenien ( SI ), Spanien ( ES ), Tschechien ( CZ ), Ungarn ( HU ), Vereinigtes Königreich (England+Wales+Schottland+Nordirland) ( GB ), Republik Zypern ( CY ).
Die beiden wichtigsten Nicht- EU -Mitglieder in Europa sind die Schweiz und Norwegen. Insgesamt gehören der EU rund eine halbe Milliarde Menschen an. Das sind zwar nicht einmal halb so viele wie die Einwohner Chinas (1,3 Milliarden), aber immerhin fast doppelt so viel wie die Einwohnerzahl der USA (315 Millionen).
Was ist eigentlich »europäisch«?
Auch die Türkei bewirbt sich um eine Mitgliedschaft. Schon 1963 meldete sie ihr Interesse an, und es gab ein erstes Abkommen. Bislang waren die Bemühungen jedoch vergeblich; während zig andere Länder an ihr vorbeigezogen sind, steht die Türkei weiterhin vor der Tür. Man muss kein stolzer Osmane sein, um nachzuvollziehen, dass man das aus türkischer Sicht ziemlich beleidigend finden kann und die zum Trost eingerichtete »privilegierte Partnerschaft« mittlerweile als einen eher ironischen Begriff sieht. Es gibt gute Gründe für und gegen eine Aufnahme der Türkei, die zugleich viel darüber aussagen, was wir unter »europäisch« verstehen – und das ist eben nicht so klar definiert.
Argumente für einen Beitritt:
Die Türkei ist eine wichtige Macht im Nahen Osten, sie würde der EU weltpolitisch ein größeres geostrategisches Gewicht verleihen.
Solange die Türkei hofft, über kurz oder lang doch noch in die EU einzutreten, orientiert sie sich an Europa und bemüht sich um demokratische und soziale Reformen, die den Vorstellungen der EU entsprechen. Verliert sie das Interesse an Europa,
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